von Tatjana Jerz

Themen wir Burnout und Mobbing finden sich in regelmäßigen Abständen in den verschiedenen Medien. 

Einerseits ist das zu begrüßen, da auf diese Weise die völlig normale, psychische Reaktion auf ungewöhnliche Belastungssituation von der Gesellschaft mehr und mehr akzeptiert wird.  Psychische Erkrankungen verlieren den Exotenstatus – und das ist gut so!

Andererseits führt das häufige Auftauchen der Thematik in Printmedien und diversen Talkshows dazu, dass kritische Zeitgenossen das Thema einfach als Modeerscheinung abtun.  Dabei wird häufig versäumt, zu hinterfragen, ob sich vielleicht doch eine Veränderung der Arbeitswelt hinter diesen Phänomenen verbirgt.

Auch die Tatsache, dass es gar nicht so leicht ist, die Prozesse hinter den Begriffen „Mobbing“ oder „Burnout“ verständlich und nachvollziehbar zu erklären, die Folgen greifbar zu machen. 

Viele Menschen fühlen sich „gemobbt“, doch ist das immer Mobbing, was da passiert?

„Echtes“ Mobbing hat immer zum Ziel, eine Person auszugrenzen, auszuschließen, aus einer Gruppe oder aus dem Unternehmen zu entfernen.  In schweren Fällen haben die Betroffenen sogar häufig das Empfinden, sie sollen in ihrer Existenz vernichtet werden.  Dieser Vorgang wird oft als eine Form seelischer Vergewaltigung beschrieben.

Warum hat Mobbing eine so gravierende Wirkung auf die Psyche?

Um das zu verstehen, hilft uns ein Blick auf die neurobiologische Trickkiste des Menschen. Wenn wir alles, was wir täglich mit unseren Sinnesorganen aufnehmen bewusst verarbeiten müssten, würden wir verrückt.

Darum hat unser Gehirn im Laufe der Evolution eine geniale Strategie entwickelt: Alles, was wir wahrnehmen wird in Sekundenschnelle abgeglichen.

Kenne ich das? Hab ich das schon einmal gehört, gesehen, gefühlt, gerochen, erlebt?

Wenn ja, läuft automatisch das mit dieser Erfahrung verknüpfte Verhaltensprogramm ab: Ignorieren, vermeiden oder entsprechend der Situation tätig werden.

Wenn etwas Neues passiert, wird diese neue Erfahrung mit bereits bekannten Situationen verglichen, um herauszufinden, ob eine bereits erprobte Strategie hier auch funktionieren könnte.

Gibt es nichts vergleichbares, und ist der Reiz zu stark, um ihn zu ignorieren, versuchen wir in der Regel herauszufinden, ob das „Neue“ gut für uns ist oder ob es uns schaden könnte.

Ist die Aussicht eher negativ, muss bewertet werden, welche Strategie nun am besten ist: Vermeiden, ändern oder sogar zu stören, wenn unsere Existenz bedroht scheint.

Diese Reaktionen laufen in den meisten Fällen in einem Bruchteil von Sekunden und zu einem Großteil unbewusst ab.

In jeder neuen Situation erproben wir als ein Verhaltensmuster und lernen und bewerten dabei. Diese erlernten Muster speichern wir automatisch ab. Funktioniert eine Verhaltensweise nicht oder versagt ein früher erfolgreiches Verhaltensmuster, probieren wir etwas Neues aus.

Lernen ist ein nie endendes Überlebensprogramm des Menschen. In welchem Zusammenhang das Lernen nun mit Mobbing steht, erfahren wir gleich.

Ein weiterer Angriffspunkt sind die „Spiegelneuronen“.

Vom ersten Lebenstag an läuft dieser überlebenswichtige Prozess, der Mensch wie Tier zu sozialen Kontakten befähigt.  Die Funktion der Spiegelneuronen.  Jeder von uns hat schon einmal automatisch das Gesicht verzogen, wenn sich das Gegenüber schmerzhaft das Knie gestoßen hat, oder von einer unangenehmen Zahnbehandlung berichtet.  Babies lächeln strahlend zurück, wenn wir sie anlachen und sie suchen ständig den Blick der Eltern.  Möchten wir, dass unser Sprössling sein Gemüsegläschen isst, öffnen wir unbewusst den Mund – und das Kind spiegelt diese Handlung automatisch und futtert (meistens) brav seinen Möhrenbrei.  Wir sind mit einer extrem langen Abhängigkeitsphase von den Eltern auf soziale Rückkopplungen angewiesen.  Darum reagieren wir automatisch und unbewusst auf minimalste Veränderung in Gestik, Mimik und Körperhaltung.

Was haben die Spiegelneuronen mit Mobbing zu tun? Sehr viel!

Eine der häufigsten Mobbinghandlungen ist die plötzliche und scheinbar grundlose Ausgrenzung des Betroffenen aus dem sozialen Umfeld. Nun versucht der Ausgegrenzte mit den aus der Vergangenheit bewährten Mitteln wieder zurück in die Gruppe zu gelangen. Er oder sie beobachtet die Menschen, die sich plötzlich zurückziehen und mit „versteinerten Mienen“ ausweichen. Kein automatisches Lächeln mehr auf dem Flur, keine Reaktionen auf den Versuch der typischen, sozialen Kontaktaufnahme: Blickkontakt, nickende Bestätigung während Gesprächen, gemeinsame Aktivitäten, wie das Gespräch am Kaffeautomat etc.

Auf konkrete Fragen, ob irgendetwas nicht in Ordnung sei, wird ausweichend oder zum Teil auch gar nicht geantwortet. Dabei ergibt sich häufig die verheerende Situation, dass das weitere Umfeld, welches zum Teil gar nicht in die Mobbingthematik eingeweiht ist, aus Unsicherheit ähnlich reagiert. Man spürt, dass etwas nicht stimmt und hält sich lieber raus.

Jeder Versuch, es „richtig zu machen“, scheitert.

Da der Mobber gar kein Interesse an einer erfolgreichen Beseitigung der Konfliktsituation hat, beobachtet er die immer neuen Versuche des Gemobbten.

Gespräche mit ehemaligen Mobbern (nach Klärung der Situation) zeigen sogar, dass die Mobber die verzweifelten Versuche des Betroffenen häufig mit einem gewissen Amüsement beobachten und bewundernd wahrnehmen. Denn allein der Mobber hat in der Hand, ob der Gemobbte mit seiner Strategie Erfolg haben darf, oder nicht.

Das Überlebensprogramm „lernen durch Versuch und Irrtum“ und die für das Sozialwesen Mensch extrem wichtige Spiegelung durch andere Menschen der Gruppe, der man angehört, endet zwangsläufig immer im Versagen des Gemobbten.

Es werden also zwei lebensnotwendige Bewältigungsprogramme des Menschen lahm gelegt. In der Regel sind nach einer Weile auch die Familie und Freunde mit der Situation überfordert und ziehen sich ebenfalls zurück. Die Folge ist häufig eine teilweise recht plötzlich auftretende Resignation, die im schlimmsten Fall bis zum Selbstmord führt.

Hier zeigt sich, dass auch Kommunikationsprofis wenig Chancen gegen Mobbing haben, wenn die Gruppe geschlossen reagiert und der Prozess nicht von außen unterbrochen wird (durch Vorgesetzte, Mitläufer, die aus ihrer Rolle herauswollen,…)

Wie kann Mobbing verhindert werden?

Mobbing ist nur zu stoppen, wenn das Umfeld nicht mitspielt. Hier ist Zivilcourage gefragt! In Unternehmen mit unsicheren Arbeitsbedingungen findet sich ebenso ein guter Nährboden für Mobbing wie in Gruppen, in denen statt Freundschaft und Kameradschaft der Wettbewerb im Vordergrund steht. Das muss nicht immer die Jagd nach Punkten sein. Wettbewerb kann auch hinsichtlich der schöneren Frau, dem erfolgreicheren Mann oder den teuersten Kleidern entstehen.

In jeder der Konstellationen müssen sich die Verantwortlichen – die „Alpha“-Tiere klar und deutlich und vor allem authentisch von jeglicher Form des Mobbing distanzieren. Wichtig ist, dass dies auch konsequent vorgelebt wird, denn Mobber haben ein „Näschen“ für Lippenbekenntnisse und nutzen jede Lücke. Auch die Gruppe muss Position beziehen. Ein Mobber ist sehr häufig gar nicht selbst aktiv, sondern hat „Ausführer“ und „Mitläufer“, durch die das Mobbing erst möglich ist.

Ausprägungen von Mobbing

Je mehr Mobber und Mitläufer beteiligt sind, umso stärker sind die Auswirkungen auf den Betroffenen. Wenn der Betroffene Stärkung und Rückhalt von Kollegen erhält, weil zum Beispiel der Vorgesetzte einen Einzelnen mobbt, hat das in der Regel eine leicht abschwächende Wirkung.

Auf der anderen Seite kann das Mobbing vieler gegen einen Einzelnen massiven Einfluss auf alle Lebensbereiche des Betroffenen haben. In der akuten Situation steckt der Betroffene fest (weil der Mobber keine Lösung zulässt). 

Darum wird das Problem im Privatleben auf der Suche nach neuen Lösungen ohne Chance auf Erfolg tagtäglich hin und her gewälzt. Folge ist, dass die Partnerin / der Partner / die Freunde es nicht mehr hören können, abwinken und sich immer mehr zurückziehen. Die zweite, sichere soziale Gruppe fällt damit weg.

Zu diesem Zeitpunkt erfolgt häufig der völlige Rückzug des Betroffenen und spätestens hier setzen in der Folge schwerwiegende körperliche und / oder psychische Symptome ein.

Wenn es passiert ist

Je nachdem, wie stark die Situation schon eskaliert ist, besteht die Möglichkeit zu deeskalieren. In diesem Fall dürfen zuerst nur Einzelgespräche geführt werden, um allen Beteiligten die Möglichkeit zu geben, das Thema aus ihrer Sicht zu schildern.

Hilfreich ist es, erst einmal nicht von „Mobbing“ zu sprechen. Dabei sollte man so viele Stimmen hören, wie möglich ist, denn häufig ergibt sich ein wahres Puzzle, das erst nach einer Weile das Gesamtbild erkennen lässt. Auch ist erst durch ausführliche „Recherche“ einigermaßen sicher, dass man tatsächlich den echten „Mobber“ vor sich hat.

Die Betroffenen wollen häufig nur „keinen Ärger verursachen“ und dass alles ganz schnell wieder so ist wie früher. Darum ist es hilfreich, sich Experten zu Hilfe zu holen, die den Prozess begleiten und als neutrale Beobachter und Begleiter helfen, eine für alle erträgliche Situation herbeizuführen.

Wird das Mobbing auch von höherer Stelle „gedeckt“ hilft häufig nur der Wechsel der Abteilung oder sogar der Arbeitsstelle.

In diesen Fällen ist es wichtig, sich Hilfe zu suchen, damit man die durchlebte Situation be- und verarbeitet.

Häufig kommt es vor, dass Menschen, die einmal Mobbing ausgesetzt waren, in späteren Situationen tatsächlich wieder zum Betroffenen werden, weil Mobber einen „Riecher“ dafür haben, wer das schwächste Glied in der Kette ist. Auch das ist ein Grund, warum Mitläufer häufig nichts sagen. Sie wissen genau, dass sie sonst die nächsten sind.

Suchen Sie professionelle Hilfe

Wichtig ist, dass der Arzt / Berater / Therapeut Erfahrung im Umgang mit Mobbing-Opfern hat. Wenn bereits in der ersten halben Stunde nach „Ihren Anteilen“ an der Situation gefragt wird, bedanken Sie sich für das Gespräch und verlassen Sie den Raum.

Professionelle, erfahrene Berater erkennen Sie an folgenden Punkten:


  • Im Erstgespräch wird die Situation geklärt, der Betroffene schildert frei seine Erlebnisse.


  • Die ersten Schritte bestehen darin, den Betroffenen wieder zu stärken, zu sich selbst zu finden, zu erkennen, was mit ihm passiert ist.


  • Ziel ist, lösungsorientiert in die Zukunft zu arbeiten.


  • Zu einem späteren Zeitpunkt macht es durchaus Sinn, die Situation zu analysieren, typische Mobbinghandlungen zu erkennen und sich mit kleinen „Tricks und Kniffen“ zumindest davor zu schützen

Noch ein Wort zum Thema Schmerzensgeld

Um sein Recht in einem Gerichtsverfahren durchzusetzen braucht man Beweise, Beweise, Beweise.

Einen guten Anwalt erkennen Sie daran, dass er Sie ganz klar darauf aufmerksam macht, dass Sie ohne konkrete Beweise vor Gericht wenige Chancen haben. Die meisten Gerichtsverfahren enden in Hinblick auf das Thema Mobbing bestenfalls mit einem Vergleich und einer Abfindung.

Darum ist wichtig:

Sammeln Sie Beweise, möglichst schriftlich und von Zeugen belegt, die tatsächlich bereit sind, ihre Aussagen vor Gericht zu wiederholen. Außerdem ist die Dokumentation der Mobbinghandlungen wichtig, zum Beispiel um bei einer Kündigung durch den Arbeitgeber nachweisen zu können, was passiert ist oder bei Sperren durch das Arbeitsamt.

Wenn Sie glauben, dass Sie von Mobbing betroffen sind:


  • Informieren Sie sich (zum Beispiel im Internet) darüber, was Mobbing wirklich ist


  • Sammeln Sie alles, was Sie an Angriffen und Vorfällen finden können schriftlich und vor allem sicher zu Hause


  • Suchen Sie sich professionelle Unterstützung.

Autor: Tatjana Jerz

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