Erbe, Mutter verstorben
Fragestellung
Hallo,
meine Mutter ist Ende Dezember verstorben. Sie hat 2 Kinder/ 2 Erben. In 2006 hat sie eine Immobilie meinem Bruder geschenkt; auf die Immobilie hatte sie bis zum Verkauf ein Nießbrauchsrecht. Die Immobilie wurde am 30.01.2019 verkauft. Die Mutter wurde für den Nießbrauchsverzicht entschädigt.
Die Mutter hinterlässt außer einer geringfügigen Verbindlichkeit gegenüber dem Finanzamt nichts.
Meine Fragen
- Habe ich einen Pflichtteilergänzungsanspruch aus BGH-Urteil vom 29.06.2016 – IV ZR 474/15? (siehe Punkt 7, https://www.advocado.de/ratgeber/erbrecht/pflichtteil/pflichtteilsergaenzungsanspruch-bei-schenkungen-berechnung-verjaehrung.html )
- Ist dieser Anspruch abhängig von Annahme oder Ausschlagen des Erbes? Oder besteht der Anspruch unabhängig von der Annahme/ Ausschlagen des Erbes.
- Am liebsten würde ich meinen Pflichtteilergänzungsanspruch geltend machen und das Erbe ausschlagen?
Mit welcher Wahrscheinlichkeit greift im meinen Fall das genannte BGH-Urteil? Falls zutreffend, muss ich das Erbe annehmen, ausschlagen oder hat es damit nichts zu tun?
Vielen Dank
Mit freundlichen Grüßen
Hinweis: Die Frage und Antwort wurde anonymisiert und mit Erlaubnis des Kunden veröffentlicht. Ihre eigene Frage wird standardmäßig nicht veröffentlicht.
Antwort von Rechtsanwalt Daniel Hesterberg
Sehr geehrte(r) Fragesteller(in),
vielen Dank für Ihre Anfrage, die ich gerne auf Basis Ihres Einsatzes und des von Ihnen mitgeteilten Sachverhalts wie folgt beantworte:
Zunächst möchte ich Ihnen mein Beileid ausdrücken.
Zur Sache führe ich aus:
1.
"Behält sich der Erblasser bei der Schenkung eines Grundstücks ein Wohnungsrecht an diesem oder Teilen daran vor, so kann hierdurch in Ausnahmefällen [im u. zitierten Urteil verneint] der Beginn des Fristlaufs gem. § 2325 Abs. 3 BGB gehindert sein" (Leitsatz - Fortführung des Senatsurteils vom 27. April 1994 – IV ZR 132/93, BGHZ 125, 395), vgl. BGH, Urteil vom 29. 6. 2016 – IV ZR 474/15.
Der Beginn des Fristablaufs gemäß § 2325 Abs. 3 BGB kann unter gewissen Voraussetzungen so in der Tat gehindert sein. Maßgebend sind nach Ansicht des BGH die Umstände des Einzelfalles, anhand derer beurteilt werden muss, ob der Erblasser den verschenkten Gegenstand auch nach Vertragsschluss noch im Wesentlichen weiterhin nutzen konnte. Die entscheidenden Grundsätze hat der Senat in seinem Urteil vom 27. April 1994 (IV ZR 132/93, BGHZ 125, 395) aufgestellt.
Hiernach gilt eine Schenkung nicht als im Sinne von § 2325 Abs. 3 BGB geleistet, wenn der Erblasser den "Genuss" des verschenkten Gegenstandes nach der Schenkung nicht auch tatsächlich entbehren muss. Eine Leistung liegt vielmehr nur vor, wenn der Erblasser nicht nur seine Rechtsstellung als Eigentümer endgültig aufgibt, sondern auch darauf verzichtet, den Gegenstand im Wesentlichen weiterhin zu nutzen.
Durch das Nießbrauchrecht konnte Ihre Mutter die Immobilie demgegenüber weiter nutzen, sodass meines Erachtens voraussichtlich der Fristbeginn aufgeschoben war - im Fall des BGH stand jedenfalls kein weitgehend alleiniges Nutzungsrecht unter Ausschluss des übernehmenden Sohnes an dem Grundstück den Eltern zu, was hier aber anders ist.
Damit ist besteht eine Möglichkeit, den Pflichtteilsergänzungsanspruch noch geltend zu machen.
2. und 3.
Nur in wenigen, gesetzlich normierten Ausnahmefällen kann nach Ausschlagung der Erbschaft der Pflichtteilsanspruch noch geltend gemacht werden.
Denn wer sein Erbe ausschlägt, verliert in der Regel auch seinen Pflichtteilsanspruch - die Hälfte des gesetzlichen Erbteils.
Eine Ausnahme gibt es in der Tat hier bei § 2325 BGB, vgl. OLG Hamm, Urteil vom 08.06.2010 - 10 U 10/10: "Die Ausschlagung der Erbschaft ist unschädlich für den Pflichtteilsergänzungsanspruch."
Aus den Gründen des Urteil des OLG Hamm:
"Es reicht aus, dass der Pflichtteilsanspruch des Klägers dem Grunde nach besteht. Dagegen ist nicht erforderlich, dass der Kläger auch einen konkreten Pflichtteilsanspruch geltend machen kann. Die Ausschlagung der Erbschaft führt zwar dazu, dass der Kläger auch keinen Pflichtteilsanspruch mehr hat, weil er nicht durch eine Verfügung der Erblasserin von Todes wegen, sondern durch seine eigene Willensentscheidung von der Erbschaft ausgeschlossen ist. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch verbleibt ihm aber trotzdem."
Da der Anspruch vom Bestehen eines ordentlichen Pflichtteilsanspruchs unabhängig ist, steht er nach Maßgabe des § 2326 BGB auch dem erbenden Pflichtteilsberechtigten oder dem, der die Erbschaft ausgeschlagen hat, zu, auch wenn kein Fall des § 2306 Abs. 1 BGB § 1371 Abs. 3 BGB (Ehegatte) vorlag.
Ich hoffe, Ihnen damit weitergeholfen zu haben und wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.
Vielen Dank im Voraus für Ihre Bewertung meiner Antwort. Für Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Daniel Hesterberg
Rechtsanwalt
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