Ich habe ein Problem. Seitdem mein Sohn zur Schule geht – er wurde erst in diesem Jahr eingeschult – ist nichts mehr wie es mal war. Aber der Reihe nach…
Ich bin ein Husky und alleinerziehender Vater. Man kennt uns auch als Schlittenhunde. Wir stammen aus dem hohen Norden und haben genetisch bedingt einen ziemlich hohen Stoffwechsel, damit wir in der Kälte nicht erfrieren. In Deutschland ist es lange nicht so kalt wie bei uns zu Hause, aber trotzdem brauchen wir auch hier ganz viel Bewegung. Wir Huskys sind sehr schnell, wir sind stark und haben fast unbegrenzte Ausdauer. Wir können einen schweren Schlitten stundenlang (und wenn es sein muss sogar tagelang) durch Schnee und Eis ziehen und werden doch nie müde. Mein Sohn ist ein Prachtexemplar von einem Husky. Wir sind gemeinsam oft stundenlang über Felder und Wiesen gelaufen. Wenn ich dann nach vielen Kilometern so langsam anfing zu schnaufen, war mein Sohn noch so frisch wie zu Beginn. Ich bin sehr sehr stolz auf meinen Sohn.
Abends, wenn wir zusammen beim Essen saßen, unterhielten wir uns über die Abenteuer, die wir am Tag erlebt hatten. Eines Abends fragte mein Sohn: „Papa, wann komme ich zur Schule? Ich will mit anderen Hunden spielen. Ich will Freunde finden und mit ihnen über Felder und Wiesen laufen“. Mein Sohn wollte alles über die Schule wissen und er konnte es gar nicht abwarten, seinen Lehrern zu zeigen wie schnell, wie stark und wie ausdauernd er war.
In diesem Sommer war es dann so weit. Mein Sohn kam endlich zur Schule. In der ersten Zeit war es für mich noch ungewohnt, dass mein Sohn nicht mehr mit mir zusammen über die Wiesen und Felder laufen konnte. Abends beim Essen saßen wir dann wie gewohnt zusammen. Aber irgendetwas kam mir komisch vor. Mein Sohn wirkte so still, so traurig und irgendwie auch so mutlos. Ich fragte ihn, ob denn alles in Ordnung sei; ob er sich wohl fühle. Er sagte, es gehe ihm gut. Er sei nur müde von der Schule.
Eines Tages wurde ich in die Schule zitiert. Der Schulrektor, ein alter streng aussehender Schäferhund teilte mir mit, dass es ernst zu nehmende Probleme gäbe. Mein Sohn sei wild, laut und habe nur Toben im Kopf. Nach fast zwei Monaten hätte er immer noch nicht begriffen, was es hieße „Sitz“ und „Platz“ zu machen. Ich war bestürzt und verzweifelt – was sollte ich nur tun?
„Der Fall liegt ganz klar auf der Pfote“ sagte der Schulrektor. „Ihr Sohn hat ADS, auch ADHS genannt: Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung!“
Das sei eine Krankheit, erklärte der Rektor weiter, die man heilen könne. Da gebe es Medikamente und wenn mein Sohn diese Medikamente nähme, würde es ihm besser gehen und er dürfe auch wieder zur Schule.
Jetzt nimmt mein Sohn diese Medikamente gegen das ADHS. Er darf auch wieder zur Schule. Er hat mittlerweile gelernt „Sitz“ und „Platz“ zu machen. Er ist jetzt nicht mehr so wild und so laut und er will auch nicht mehr toben oder über die Wiesen und Felder laufen. Wie es meinem Sohn geht, weiß ich nicht, denn er redet nur noch sehr wenig. Aber mir geht es gar nicht gut, denn irgendwie ist nichts mehr wie es mal war…