Fehlbehandlung durch Kinderwunschzentrum (ICSI statt IVF)
Fragestellung
Guten Tag Frau Ordemann,
im Rahmen unserer Kinderwunschbehandlung hat sich für uns eine Situation ergeben, zu der wir um Ihre Einschätzung bitten.
Mein Mann (41 Jahre, keine Vorerkrankungen, Spermiogramm in Ordnung) und ich (38 Jahre, auch keine Vorerkrankungen, AMH von 2,5) haben bereits einen 3,5-jährigen Sohn auf natürlichem Weg. Für das Geschwisterkind haben wir bereits drei erfolglose IUIs hinter uns und haben uns daher für eine IVF entschieden. Die Zusage der Krankenkasse über die anteilige Kostenübernahme von drei IVF-Behandlungen liegt uns vor.
Es gibt keine wirkliche Diagnose "außer" der sekundären Sterilität.
Nun haben wir mit der ersten IVF begonnen: 12 Follikel, davon sechs reife Eizellen durch Punktion entnommen und letztlich eine befruchtet, die sich bis zur Morula entwickelt hat und dann transferiert wurde. Leider war dieser Versuch nicht erfolgreich.
Im Nachgespräch mit der Ärztin hat diese uns dann eröffnet, dass irrtümlich von Seiten des Kinderwunschzentrums keine IFV sondern eine ICSI vorgenommen worden war. Trotz dieser „Mehrleistung“ hat sich nur diese eine Eizelle befruchten lassen.
Uns wird diese „versehentliche“ ICSI nun nicht berechnet, sondern wir tragen nur unseren Anteil an der eigentlich geplanten IVF.
Laut Ärztin sei die vorgenommene ICSI zu unserem Vorteil gewesen, da es angesichts des ungünstigen Ergebnisses bei der ICSI sonst im Rahmen einer IVF vielleicht nur zu einer Nullbefruchtung gekommen wäre.
Die Ärztin empfiehlt uns nun im nächsten Schritt eine ICSI als Wunschleistung, d.h. voll von uns finanziert, da vor dem Hintergrund der ungünstig verlaufenen ICSI davon auszugehen sei, dass sich bei einer IVF überhaupt keine Eizelle befruchten lassen würde.
Für uns würde nun eine ICSI-Wunschbehandlung jedoch bedeuten, vom genehmigten Behandlungsplan der Krankenkasse abzuweichen, der die anteilige Kostenübernahme für drei IVF vorsieht, und die Kosten für zwei weitere ICSIs komplett selbst zu tragen.
Um von Seiten der Krankenkasse die hälftige Kostenübernahme für zwei folgende ICSI-Behandlungen zu erhalten, wäre eine erfolglose IVF die Voraussetzung. Ohne eine solche müssten wir die Kosten für zwei folgende ICSIs voll übernehmen.
Weitere Indikation für die Kostenübernahme der Krankenkasse für die ICSIs wäre ein schlechtes Spermiogramm, was jedoch auf unsere Situation nicht zutrifft.
Auch wenn die Ärztin des Kinderwunschzentrums uns gegenüber argumentiert, dass wir durch die irrtümlich vorgenommene ICSI von einer kostenlosen Mehrleistung profitiert haben, so stellt sich für uns die Situation so dar, dass uns durch die unverlangte ICSI mit einer befruchteten Eizelle, aus der jedoch keine Schwangerschaft resultierte, sozusagen die Möglichkeit genommen wurde, eine erste, erfolglose IVF vorzunehmen, die wiederum die Voraussetzung dafür gewesen wäre, dass die Krankenkasse im Anschluss die hälftigen Kosen für zwei ICSI-Behandlungen übernimmt.
Nach dem negativen Ausgang der ersten - unverlangten – ICSI stellt sich die Situation für uns nun so dar, dass wir entweder zwei ICSIs voll zahlen müssten, da keine Indikation für eine Kostenbeteiligung der Krankenkasse vorliegt, oder im nächsten Schritt eine IVF durchführen lassen müssten, von der vor dem Hintergrund der erfolglosen ICSI ein negatives Ergebnis zu erwarten ist, um danach die anteilige Kostenübernahme der Krankenkasse für eine weitere ICSI zu erhalten.
Sogar seitens der Ärztin wurde die Durchführung einer IVF als nächste Maßnahme jedoch als wenig sinnvoll angesehen.
Unsere Fragen:
- Kann die erfolgte, erste Kinderwunschbehandlung überhaupt als einer der drei genehmigten IVF-Versuche angesehen werden, da ja eine falsche, d.h. nicht beauftragte Behandlung erfolgte?
- Liegt dementsprechend ein Behandlungsfehler vor?
- Ließe sich vor diesem Hintergrund gegenüber Kinderwunschzentrum und Krankenkasse durchsetzen, dass uns noch die kompletten drei IVF-Versuche gemäß genehmigtem Behandlungsplan zustehen?
- Oder gibt es eine rechtliche Argumentation für die Kostenübernahme für weitere ICSI-Behandlungen?
Wir würden uns über Ihre Einschätzung des dargestellten Sachverhalts sowie über einen Vorschlag zu unserer weiteren Argumentation gegenüber Kinderwunschzentrum und Krankenkasse freuen.
Vielen Dank und freundliche Grüße,
Andrea und Andreas Runkel
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Antwort von Rechtsanwältin Uta Ordemann
Sehr geehrte Mandanten,
vielen Dank nochmals für Ihre Anfrage, zu der Folgendes anzumerken ist:
1.
Das Kinderwunschzentrum hat hier eine Behandlung durchgeführt, die mit dem Behandlungsvertrag nicht in Auftrag gegeben worden ist. Damit ist die in Auftrag gegebene Behandlung nicht erfüllt worden. Zwar argumentiert die Ärztin so, dass Sie eine "Mehrleistung" erhalten hätten. Das wäre aber nur dann der Fall, wenn in der ICSI die IVF enthalten wäre und darüber hinaus noch eine Leistung,nämlich die ICSI, erbracht worden wäre. Das ist aber nicht der Fall, so dass es sich damit nicht um eine Mehrleistung, sondern um eine "Anderleistung" handelt, die aber tatsächlich nicht in Auftrag gegeben worden ist. Die Ärztin meinte vermutlich, dass Sie von der anderen Leistung einen Mehrwert gehabt haben. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass eine andere Behandlung durchgeführt worden ist als tatsächlich vereinbart worden ist. Damit können Sie vom Kinderwunschzentrum grundsätzlich verlangen, dass die in dem Behandlungsvertrag vereinbarten Behandlungen, nämlich die 3 IVF, erbracht werden. Da hier eine andere Leistung als vereinbart erbracht worden ist, besteht für die ICSI-Behandlung grundsätzlich auch kein Honoraranspruch. Sie können damit gegenüber dem Kinderwunschzentrum aufgrund der vertraglichen Vereinbarung darauf bestehen, dass die vereinbarte Behandlung, für die die Krankenkasse auch die teilweise Kostenübernahme erteilt hat, durchgeführt wird.
2.
Die Ärztin argumentiert aufgrund des Ergebnisses der versehentlich durchgeführten ICSI nun so, dass sich bei einer IVF vermutlich überhaupt keine Eizelle befruchten lassen würde. Da es ja darum geht, einen Behandlungserfolg herbeizuführen, wäre diese Aussage nun ein Ansatz, an die Krankenkasse heranzutreten und sie um die Genehmigung eines veränderten Behandlungsplans zu bitten. Dabei empfielt es sich, ganz offen mit dem Umstand umzugehen, dass das Kinderwunschzentrum versehentlich eine ICSI statt einer IVF durchgeführt hat und dass nach Aussage der Ärztin aufgrund des Ergebnisses der ICSI nicht von einer erfolgreichen Behandlung mit einer IVF auszugehen sei und dass sie daher empfiehlt, direkt zwei weitere ICSI durchzuführen, da dies wesentlich Erfolg versprechender sei.
Zwar sehen die neuen Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) der Ärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuer und Krankenkassen vom 2. Juni 2017 grundsätzlich die vorherige Erstellung von Spermiogrammen vor. Es handelt sich hierbei aber um Richtlinien, die keinen rechtlich zwingenden Charakter haben. Das bedeutet, dass aus begründetem Anlass hiervon durchaus abgewichen werden kann.
Da die Ärztin empfohlen hat, aufgrund der deutlich besseren Erfolgsaussichten bei den nächsten beiden Behandlungen direkt eine ICSI statt einer IVF durchzuführen, würde ich die Krankenkasse bitten, den genehmigten Behandlungsplan insoweit zu ändern, dass sie die Kosten für 2 ICSI anteilig übernimmt. Es würden hierdurch vermutlich auch keine Mehrkosten auf die Krankenkasse zukommen. Zwar liegen die Kosten für die Durchführung einer ICSI in der Regel etwas über den Kosten für eine IVF, wobei der Unterschied oft eher marginal ist. Hier ist aber zu berücksichtigen, dass die Kasse nur für 2 Behandlungen anteilig die Kosten übernehmen müsste, da für die erste Behandlung wohl keine Kosten auf die Krankenkasse zukommen werden. Dies wäre auch noch ein Argument gegenüber der Krankenkasse neben den deutlich höheren Aussichten auf einen Behandlungserfolg.
3.
Ein Behandlungsfehler im medizinischen Sinne liegt hier nicht vor, da die Behandlung an sich de lege artis durchgeführt worden ist. Die Behandlung ist somit nicht falsch oder fehlerhaft erfolgt. Es wurden offensichtlich auch die medizinschen Standards berücksichtigt. Allerdings wurde . wie ausgeführt - von dem Kinderwunschzentrum eine andere Behandlung als die Vereinbarte durchgeführt. Damit ist die vertraglich vereinbarte Leistung noch nicht erbracht worden. Sie könen sich damit für den Fall, dass die Krankenkasse eine Genehmigung für 2 Folge-ICSI nicht erteilen sollte, gegenüber dem Kinderwunschzentrum auf den Standpunkt stellen, dass die vertraglich vereinbarten Leistungen noch zu erbrigen sind, nämlich die 3 IVF-Behandlungen, die auch von der Krankenkasse genehmigt worden sind.
Da nach Angaben der Ärztin der Behandlungsweg mit den ICSI aber der Erfolg versprechendere ist, empfehle ich, zunächst gegenüber der Krankenkasse mit der oben aufgeführten Argumentation darauf hinzuwirken, dass sie die anteiligen Kosten für 2 ICSI-Behandlungen übernimmt.
Ich hoffe, Ihnen mit diesen Ausführungen weitergeholfen zu haben. Falls noch Fragen bestehen, melden Sie sich jederzeit gern.
Mit freundlichen Grüßen
Uta Ordemann
Rechtsanwältin
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ich wollte Sie kurz informieren, dass ich im Laufe des Nachmittags auf Ihre Anfrage zurückkommen werde. Ich bitte um Nachsicht für die kleine Verzögerung.
Mit freundlichem Gruß
Uta Ordemann