Behandlungsfehler aufgrund fehlender Aufklärung durch eine Ärztin
Fragestellung
Guten Tag Frau Merkel,
2009 wurde mir in einer Psychiatrie erstmals das SSRI-Antidepressiva Paroxetin verschrieben ohne über das damals schon bekannte hohe Abhängigkeitspotenzial, das erhöhte Suizidrisiko und mögliche aggressive und gewalttätige Verhaltensweisen durch die Einnahme bzw. das Absetzen dieses Medikaments aufgeklärt zu werden. Ich habe die erforderlichen Behandlungsunterlagen mit allen Protokollen, auch dem Protokoll der Visite, in der mir eine Oberärztin das Medikament erstmals verschrieb vorliegen. Nirgends wird erwähnt, dass ich über mögliche Risiken und Nebenwirkungen aufgeklärt wurde. Ich habe in den letzten Jahren mehrmals versucht Paroxetin abzusetzen, was jedesmal zu extremen Entzugssymptomen in Form von starken Suizidgedanken, abnormalen, gewalttätigen Albträumen (über meinen eigenen Suizid), Akathisie, Bauchschmerzen, starker innerer Unruhe und extremer Muskelanspannung und einer chronischen Darmentzündung geführt hat. Selbst eine tropfenweise Reduzierung über mehrere Monate in Begleitung eines erfahrenen Psychiaters hat zu diesen Entzugssymptomen geführt. Der Grund für das Absetzen von Paroxetin waren schwere Nebenwirkungen in Form von Impotenz, Albträumen, Störungen beim Entleeren der Blase bei gleichzeitiger Wirkungslosigkeit bzgl. meiner Ängste und Depressionen. Bei meinen Recherchen bin ich auf ein Urteil des BGH gestoßen:
BGB § 823 Aa
Bei möglichen schwerwiegenden Nebenwirkungen eines Medikaments ist neben
dem Hinweis in der Gebrauchsinformation des Pharmaherstellers auch
eine Aufklärung durch den das Medikament verordnenden Arzt erforderlich.
BGH, Urteil vom 15. März 2005 - VI ZR 289/03 - OLG Rostock
LG Schwerin
Bitte teilen Sie mir mit, ob ich aufgrund dieses Urteils das Recht hätte die Psychiatrie wegen eines Behandlungsfehlers aufgrund von fehlender Aufklärung über Risiken und Nebenwirkungen von Paroxetin zu verklagen und wenn ja welche Aussichten eine solche Klage hätte. Ich habe eine Rechtsschutzversicherung und hatte die Klinik schon einmal wegen eines fehlerhaften Benzodiazepin-Entzuges verklagt. Dafür wandte ich mich an die unabhängige Patientenberatung, die mir riet ein kostenloses Gutachten durch den MdK (medizinischer Dienst der Krankenkassen) erstellen zu lassen. Das Gutachten kam zu dem Ergebnis, dass es keine Regel oder Richtlinien gäbe, wie ein Benzodiazepinentzug zu machen sei und daher die Klinik das machen könne, wie sie wolle, also auch kalt, wie bei mir. Daher habe ich nicht gerade großes Vertrauen in den MdK. Aufgrund meines schlechten Gesundheitszustandes und meiner Erwerbsunfähigkeit wäre ein langwieriger Prozess für mich nicht gerade förderlich, allerdings sind die Kosten für die Behandlungen der Symptome und Krankheiten aufgrund der Einnahme und Absetzversuche von Paroxetin sehr hoch. Ich befinde mich jetzt in der Behandlung eines privat-praktizierenden Psychiaters, dessen Behandlung bisher eine deutliche Verbesserung meines Gesundheitszustandes gebracht hat, die aber sehr teuer ist und ich selbst bezahlen muss und das von meiner Sozialhilfe. Sie sehen mein Dilemma.
Mit freundlichem Gruß
M. H.
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Antwort von Rechtsanwältin Anja Merkel, LL.M.
Sehr geehrter Herr H.,
vielen Dank für Ihre Anfrage.
Ich beantworte Ihr Anliegen auf Basis Ihrer Angaben folgendermaßen:
"Bitte teilen Sie mir mit, ob ich aufgrund dieses Urteils das Recht hätte die Psychiatrie wegen eines Behandlungsfehlers aufgrund von fehlender Aufklärung über Risiken und Nebenwirkungen von Paroxetin zu verklagen und wenn ja welche Aussichten eine solche Klage hätte."
1.
Sie haben grundsätzlich das Recht bei Streitigkeiten über Rechtsfragen eine gerichtliche Klärung durchzusetzen. Allerdings muss bereits außergerichtlich die Durchsetzung des Rechts erfolglos versucht worden sein. D.h. bevor Sie Klage einreichen, sollten Sie zunächst versuchen Ihre Schadensersatzansprüche gegenüber der Psychiatrie direkt durchzusetzen. Erst wenn dort keine Klärung erfolgt, d.h. die Psychatrie verweigert eine Schadensersatzzahlung oder über die Höhe kann keine Einigung erzielt werden, können und müssen Sie Ihre Forderung gerichtlich durchsetzen.
2.
Zu den Klageaussichten kann ohne Kenntnis aller Unterlagen keine konkrete Aussage getroffen werden.
Das von Ihnen angesprochene Urteil stellt ein Grundsatzurteil zur Haftung bei fehlender Aufklärung über schwere Nebenwirkungen dar. D.h. es wird grundsätzlich oberstgerichtlich festgestellt, dass eine fehlende Aufklärung über schwere Nebenwirkungen durch Arzt zu Schadensersatzforderungen führen kann, wenn sich ein aufklärungspflichtiges Risiko (Nebenwirkungen) später verwirklicht.
Im von Ihnen zitierten Fall ging es um eine Raucherin, die nicht über das Schlaganfallrisiko bei der Einnahme der Antibabypille in Kombintation von Rauchen aufgeklärt wurde. Hier wurde festgestellt, dass sich das aufklärungspflichtige Risiko (Nebenwirkung Schlaganfall) in zweifacher Hinsicht verwirklicht habe, einerseits hätte die Patentin bei umfassender ärztlicher Aufklärung auf die Einnahme des Medikaments verzichten können oder aber mit dem rauchen aufhören können.
In Ihrem Fall müsste also die fehlende Aufklärung dazu geführt haben, dass Sie aufgrund der Erläuterten Nebenwirkungen auf die Einnahme verzichtet hätten, oder ein ähnliche Antidepressesiva eingenommen hätten, dessen Nebenwirkungen nicht so gravierend wären.
Jedenfalls müssten Sie plausibel darlegen, dass Sie bei erfolgter Aufklärung über die starken Nebenwirkungen in einem echten Entscheidungskonflikt gestanden hätten. Bei dem Einwand muss beachtet werden, das einerseits das Aufklärungsrecht das Pateinten nicht unterlaufen wird und dass andererseits die Darlegung eines echten Entscheidungskonflikts durch den Patienten gefordert wird, um einen Missbrauch des Aufklärungsrechts allein für Haftungszwecke vorzubeugen (BGH in NJW 2007, 2771 ff.). Kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich der Patient unter Berücksichtigung des zu behandelnden Leidens und der aufzuklärenden Risiken, aus vielleicht nicht gerade „vernünftigen“, aber durchaus nachvollziehbaren Gründen für eine Ablehnung der Behandlung entschieden haben könnte, kommt ein echter Entscheidungskonflikt in Betracht.
Ob ein Entscheidungskonflikt im Rahmen der Psychatriesituation möglich gewesen ist, kann ich nicht beurteilen.
Im Falle eines vorwerfbaren Aufklärungsfehlers müssen Ihre Leiden tatsächlich auf die Nebenwirkungen des Medikaments zurückzuführen sein und nicht beispielsweise eine Folge des Grundleidens sein. Dafür tragen Sie die Beweislast. Ist fraglich, ob eine zum Primärschaden zu zählende Komplikation des Eingriffs Folge des Grundleidens oder unbekannter Ursache ist, so scheidet diese wegen der Beweismaßanforderung des § 286 ZPO aus dem Haftungsvolumen aus.
Des weiteren müssen die Nebenwirkungen bei der Vergabe durch den Arzt bekannt gewesen sein, vgl. z.B. BGH, Az. VI ZR 241/09 oder OLG Köln, Az. 5 U 37/10.
Sie legen dar, dass die starken Nebenwirkungen bereits 2009 bekannt gewesen sind.
Diese oben genannten Punkte sind gutachterlich zu klären.
Außerdem müssen Sie die allgemeine Verjährungsfrist beachten. Diese beträgt 3 Jahre. Die Verjährung von medizinrechtlichen Schadensersatzansprüchen beginnt am Ende desjenigen Jahres zu laufen, in dem der Geschädigte von dem Schaden und der Person des Schädigers Kenntnis erlangt hat.ab Kenntnis, dass die Nebenwirkungen eingetreten sind. D.h. haben Sie im Laufe des Jahres 2013 Kenntnis von eingetretenen Nebenwirkungen erlangt, müssten Sie noch bis Ablauf diesen Jahres (2017) Klage einreichen.
Sie schreiben, dass Sie "in den letzten Jahren" mehrfach versucht haben, das Medikament abzusetzen. Insofern prüfen Sie, ob bereits Verjährung eingetreten sein könnte.
Ich rate Ihnen, sich einen mit einem Anwalt für Medizinrecht vor Ort unter Vorlage der Unterlagen und gegebenfalls eines medizinischen Gutachtens zu beraten. Da Sie schreiben, dass Sie eine Rechtsschutzversicherung haben, müssten Sie eine Deckungszusage für Ihren Fall dort einholen.
Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass dieses Forum eine ausführliche und persönliche Rechtsberatung nicht ersetzen kann, sondern vor allem dafür gedacht ist, eine erste rechtliche Einschätzung zu ermöglichen. Durch Hinzufügen oder Weglassen relevanter Informationen könnte die rechtliche Beurteilung Ihres Anliegens anders ausfallen.
Ich hoffe Ihnen eine erste rechtliche Orientierung gegeben zu haben und wünsche Ihnen viel Erfolg und Kraft.
Beste Grüße
Anja Merkel, LL.M.
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