Verkehrsrecht - Tatvorwurf Fahrlässige Körperverletzung
Fragestellung
Sehr geehrter Herr Jeromin,
mein Vater (67 J.) soll beim Rechtsabbiegen mit seinem Kfz einen Linienbus ",geschnitten" haben, so dass die Busfahrerin stark abbremsen musste. Infolge des Bremsmanövers soll ein im Bus stehendes Mädchen gegen eine Haltevorrichtung geschleudert worden sein, wodurch sie verletzt wurde (Platzwunde, die ärztlich versorgt werden musste).
Sowohl mein Vater als auch seine Mitfahrerin (meine Mutter) sind sich keiner Schuld bewusst, können sich nicht an einen Bus erinnern, noch an beispielsweise ein Hupen der Busfahrerin nach der Bremsung.
Ca. 100 Meter nach der Situation parkten sie. EIne Kontaktaufnahme durch die Busfahrerin oder einen Passagier erfolgte nicht.
Mein Vater ist im Glauben, unschuldig zu sein.
Sie waren zur "Tatzeit" unbestritten am "Unfallort", ihr Fzg. wurde von Passagieren im Bus fotografiert.
Zunächst gab es eine Ermittlungssache "Unerlaubtes Entfernen vom Unfallort". Nun wurde ein Ermittlungsverfahren eröffnet mit dem Tatvorwurf der fahrlässigen Körperverletzung. Zitat aus dem Schreiben der Staatsanwaltschaft: "...nach dem Ergebnis der bisherigen Ermittlungen sind SIe eines Vergehens nach § 229 StGB hinreichend verdächtig."
Von der Verfolgung des Vergehens wird gegen Auflage (Zahlung von 600,-€ in drei Teilbeträgen) abgesehen.
Meine Eltern sind nicht rechtschutzversichert. Mein Vater ist Rentner. Er fuhr bis dato stets unfallfrei, hat keine Einträge im Verkehrszentralregister.
Frage:
- Ist, vor allem unter monetärer Hinsicht, die Zahlung der 600,-€ ratsam oder besteht bei einer Verhandlung relevante Aussicht auf Einstellung des Verfahrens, da Aussage gegen Aussage steht?
- Kann ein Strafmaß eingeschätzt werden, falls es zu einer Verurteilung kommen würde?
- Die anwaltliche Vertretung ist vor Gericht unabdingbar?
- Gegen die Höhe der Auflage kann nicht aussichtsreich Einwand erhoben werden?
Vielen Dank.
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Antwort von Rechtsanwalt Jens Jeromin
Sehr geehrter Fragesteller,
vielen Dank für Ihre Anfrage.
Zunächst gehe ich davon aus, dass Ihr Vater im Ermittlungsverfahren bereits Angaben zur Sache gemacht hat und dadurch einige Verteidigungsansätze leider abgeschnitten sind.
Denn wenn Sie schreiben, „Sie waren zur "Tatzeit" unbestritten am "Unfallort", ihr Fzg. wurde von Passagieren im Bus fotografiert“, sagt dies erstmal etwas über ein Fahrzeug aus, nicht aber über den Fahrer.
Es wäre ratsam gewesen, erst einmal zu den Vorwürfen zu schweigen und Akteneinsicht nehmen zu lassen, um zu klären, ob auf den Fotos nicht nur das Fahrzeug, sondern auch Ihr Vater als Fahrzeugführer erkennbar ist, ansonsten man ihn hier nicht hätte zu Verantwortung ziehen können, wenn er keine Angaben zu den Vorwüfen gemacht hätte.
Nun lautet der Vorwurf „fahrlässige Körperverletzung“- das steht zunächst nicht im Widerspruch dazu, dass Ihre Eltern den Bus nicht bemerkt haben. Dies kann durchaus zutreffen.
Fahrlässigkeit bedeutet, die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen zu haben.
Übersetzt lautet der Vorwurf daher in etwa“ es mag sein, dass Sie den Bus nicht bemerkt haben- hätten Sie bei Anwendung der erforderlichen Sorgfalt aber müssen“.
Ob dieser Vorwurf gerechtfertigt ist, lässt sich ohne Akteneinsicht naturgemäß nicht seriös beurteilen.
Eine Einstellung des Verfahrens nach § 153a StPO bedeutet, dass Ihr Vater nicht verurteilt wird. Es gibt auch keine „Punkte“ in Flensburg.
Ohne Rechtsschutz gegen eine Auflage in Höhe von 600,00 € anzugehen, birgt ein erhebliches Kostenrisiko.
Es wäre dann mit einem gerichtlichen Verfahren zu rechnen, im Falle einer Verurteilung wären die jetzt im Raum stehenden 600,00 € durch die Addition von Geldstrafe, Gerichtskosten, Zeugengeld und Anwaltskosten mit Sicherheit um mindestens das Doppelte, eher das Dreifache, überschritten.
Wenn es zu einer Verurteilung kommt, wäre mit mindestens 30 Tagessätzen Geldstrafe zu rechnen.
Das entspricht dem Einkommen Ihres Vaters für einen Monat. Wenn also mehr als 600,00 € monatliche Rente gezahlt würden, würde Ihr Vater sich mit ziemlicher Sicherheit zur jetzigen Situation finanziell deutlich verschlechtern.
Ohne Anwalt wäre ein Gerichtstermin zudem relativ sinnlos, da der Anwalt Akteneinsicht erhält, die zur Vorbereitung einer effektiven Verteidigung natürlich unabdingbar ist.
Als Zwischenschritt könnte sich anbieten, noch kurzfristig durch einen Anwalt Akteneinsicht nehmen und sich dann über das weitere Vorgehen entsprechend zu beraten.
Für Kollegen vor Ort kann ich natürlich nicht sprechen, aber für Akteneinsicht mit folgender Beratung würden in unserer Kanzlei 200,00 € veranschlagt, dies als Gradmesser, ob Ihnen dieser Schritt sinnvoll erscheint.
Zuletzt noch zu Ihrer Frage nach der „Aussage-gegen-Aussage-Situation“.
Aussage-gegen-Aussage ist ein Aspekt aus dem Zivilrecht, nicht dem Strafrecht.
Das Gericht kann sich zur Frage einer Verurteilung aller Beweismittel bedienen, die die StPO vorsieht- vor allem dem des Zeugen.
Wenn also Busfahrerin und- Insassen übereinstimmend und schlüssig einen Vorgang schildern, der den Schluss zulässt, das Fahrlässigkeit vorlag, kann dies für eine Verurteilung ausreichen.
Es werden natürlich auch Ihre Mutter und Ihr Vater gehört- aber aus all diesen Aussagen darf der Richter sich dann seine Überzeugung bilden.
Die Verteidigung Ihres Vaters dürfte dabei recht eingeschränkt sein, da er scheinbar wenig zur Situation sagen kann.
Den nach Ihrer Schilderung vor Ort befindlichen Bus, um den es hier geht, hat er ja gar nicht in Erinnerung.
Ich hoffe Ihnen auf diesem Weg eine hilfreiche erste rechtliche Orientierung ermöglicht zu haben und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Jeromin
Rechtsanwalt
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