Unterhalt: Sonderbedarf/Mehrbedarf
Fragestellung
Hallo,
ich bin geschieden und zahle für meine beiden Kinder (12,16) nach Abzug des halben Kindergeldes jeweils 493 Euro (Stufe 6) und für meine Frau 300 Euro nachehelichen Unterhalt. Nun fordert meine Frau von mir, dass ich die Hälfte der Kosten für das Skilager bezahle. Dieses Skilager findet IMMER in der 7. klasse statt und sie wusste das bereits als mein Sohn vor zwei Jahren die Schule wechselte. Ebenso findet irgendwann in 3 Jahren die Abi-Abschlussfahrt meiner Tochter statt. Auch das sind absehbare Kosten. Daher bin ich der Meinung, meine Exfrau hat genug Zeit um vom kindesunterhalt dafür etwas wegzulegen. Ihre Anwältin behauptet jedoch, ihr stehe Mehr- oder Sonderbedarf zu. Ist das korrekt?
Hinweis: Die Frage und Antwort wurde anonymisiert und mit Erlaubnis des Kunden veröffentlicht. Ihre eigene Frage wird standardmäßig nicht veröffentlicht.
Antwort von Rechtsanwalt Roger Neumann
Sehr geehrter Ratsuchender,
Leider ist die Rechtslage nicht ganz so eindeutig und die Rechtsprechung ist in diesem Bereich uneinheitlich.
Zunächst wird unter Sonderbedarf ein Bedarf verstanden, der unregelmäßig und außergewöhnlich hoch ist, § 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB.
Wenn der Bedarf vorhersehbar ist, ist der Unterhaltsberechtigte gehalten, Rücklagen zu bilden.
Wie Sie mitteilen, war das Skilager und die damit verbundenen Kosten bereits seit mindestens zwei Jahren bekannt. Von daher läge eigentlich kein Sonderbedarf vor.
Leider ist bei Klassenfahrten verschiedentlich Sonderbedarf mit der Begründung bejaht worden, aufgrund der geringen Höhe des Unterhalts sei eine Rücklagenbildung nicht möglich gewesen. Das ist so entschieden worden bei Unterhalt nach Einkommensgruppen 4 und 5 der Düsseldorfer Tabelle (OLG Köln, Beschluss vom 29. 10. 1998 - 14 WF 157–98, OLG Hamm, Beschluss vom 5. 4. 2004 - 11 WF 62/04). Sie zahlen nun nach Stufe 6 der Düsseldorfer Tabelle. Eine Entscheidung konkret für diese Stufe konnte ich trotz sorgfältiger Recherche nicht ausmachen. Zweifellos ist der Spielraum für die Rücklagenbildung hier größer als in Stufen 4 und 5. Der Unterhalt ist aber auch nicht so hoch, dass man sozusagen auf der sicheren Seite ist. Anders ausgedrückt: Es kann sein, dass ein Gericht hier Sonderbedarf bejaht.
Einigkeit besteht allerdings darüber, dass stets unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu prüfen ist, ob vorrangig aus dem laufenden Unterhalt Rücklagen gebildet werden können.
Nach meiner Meinung können Sie unter Hinweis auf die mögliche Rücklagenbildung die Forderung der gegnerischen Rechtsanwältin zurückweisen oder sie zumindest auffordern, Ihnen darzulegen, wieso eine Rücklagenbildung nicht möglich sein soll.
Eines muss ich aber klar sagen: eine sichere Prognose für einen etwa folgenden Prozess kann ich aufgrund der mir vorliegenden Angaben nicht seriös abgeben.
Ich hoffe trotzdem, Ihnen weitergeholfen zu haben. Wenn noch etwas unklar ist, nutzen Sie einfach die Rückfragefunktion.
Mit freundlichen Grüßen
Rechtsanwalt Roger Neumann
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Nun aber zu meiner weiteren Antwort:
Ein eindeutiges Gesetz zu dem Thema gibt es leider nicht. Das Gesetz regelt lediglich die Unterhaltspflicht dem Grunde nach, §§ 1601, 1602 BGB, stellt fest, dass der Unterhalt angemessen sein und den gesamten Lebensbedarf abdecken muss, § 1610 BGB, dass der Unterhalt als monatlicher Geldbetrag zu zahlen ist, § 1612 BGB und das Gesetz regelt für unregelmäßigen und außergewöhnlich hohen Bedarf (Sonderbedarf), dass dieser (anders als der Regelbedarf) auch nachträglich verlangt werden kann, § 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB.
Alles Weitere sind Voraussetzungen und Merkmale, die die Gerichte durch Auslegung entwickelt haben. Das gilt auch für die Unterhaltstabellen, die kein Gesetz, sondern nur Richtlinien sind. Besonders im Bereich der Abgrenzung zwischen Regelbedarf auf der einen und Mehr- oder Sonderbedarf auf der anderen Seite stellt die Rechtsprechung geradezu gebetsmühlenhaft immer wieder fest, dass diese Abgrenzung nicht nach allgemeingültigen Maßstäben festgelegt werden kann, sondern grundsätzlich nur von Fall zu Fall für die jeweils in Frage stehende Aufwendung zu entscheiden ist, so z.B. Bundesgerichtshof, Urteil vom 15. 2. 2006 - XII ZR 4/04.
Die Rechtsprechung meidet also ausdrücklich und ganz bewusst die von Ihnen gewünschte Eindeutigkeit. Verstehen Sie mich bitte richtig: Ich kann den Wunsch nach Eindeutigkeit sehr gut verstehen und mehr Eindeutigkeit würde in der Beratungspraxis vieles vereinfachen. Aber die Spielräume, die die Rechtsprechung sich lässt, sind nun einmal ein unabänderliches Faktum.
In der Praxis wird der Unterhalt so gut wie immer zunächst nach der Düsseldorfer Tabelle festgelegt. Das ist der sogenannte Regelunterhalt. Von diesem Satz nach Düsseldorfer Tabelle sind in gewissem Umfang auch besondere Ausgaben umfasst, z.B. für Kleidung, Feste und Geburtstage. Damit soll vermieden werden, dass sehr häufig Sonderzahlungen angefordert werden. Es wird unterstellt, dass derartige Mehrausgaben durch Minderausgaben zu anderen Zeiten ausgeglichen werden.
Wo genau im Einzelfall die Grenze des vom Regelunterhalt abgedeckten Bedarfs ist, hängt nach dem oben Gesagten von den Umständen des Einzelfalls ab und ist Gegenstand zahlreicher Gerichtsentscheidungen (Einzelfallentscheidungen).
Für diese Beurteilung spielt es dann eine Rolle, ob es möglich ist, aus dem laufenden Unterhalt die notwendigen Rücklagen zu bilden. Nach dem oben Gesagten sind bestimmte besondere Ausgaben sozusagen im Tabellenunterhalt „eingepreist“, so z.B. die Kosten für einen Geburtstag.
Lassen Sie mich an dieser Stelle kurz einschieben eine Erläuterung zu den Unterschieden zwischen Mehrbedarf und Sonderbedarf. Es sind Unterschiede bei den Voraussetzungen und bei den Rechtsfolgen.
Bei beiden ist Voraussetzung, dass der Bedarf von dem Regelbedarf nach den Tabellensätzen nicht gedeckt ist. Beim Sonderbedarf muss hinzukommen, dass er unregelmäßig und außergewöhnlich hoch ist, so steht es in § 1613 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Die Rechtsprechung fügt eine Voraussetzung hinzu: der Sonderbedarf muss außerdem unvorhersehbar sein. Im Umkehrschluss bedeutet das: vorhersehbarer erhöhter Bedarf ist als Mehrbedarf geltend zu machen.
Bei den Rechtsfolgen gibt es den schon erwähnten, wesentlichen Unterschied, dass Sonderbedarf auch nachträglich geltend gemacht werden kann, Mehrbedarf hingegen im Voraus verlangt werden muss.
Sie stellen in Ihrer ursprünglichen Fragestellung klar, dass die Skifreizeit seit längerem bekannt ist. Folglich ist sie nicht unvorhersehbar, folglich kein Sonderbedarf. Ich habe Ihre Frage so verstanden, dass die Skifreizeit im kommenden Winter stattfindet. Dann ist es so, dass die Gegenanwältin den zusätzlichen Bedarf im Voraus, also rechtzeitig als Mehrbedarf geltend gemacht hat.
Auf die Frage der Vorhersehbarkeit kommt es deshalb nicht mehr an, sondern nur noch darauf, ob die Kosten der Skifreizeit vom laufenden Unterhalt gedeckt sind.
Diese Frage kann man tatsächlich nur dahingehend beantworten, dass es darauf ankommt, ob eine ausreichende, die Kosten der Freizeit deckende Rücklage aus dem laufenden Unterhalt gedeckt werden kann. Dafür kommt es auch darauf an, wieviel die Skifreizeit kostet. Außerdem können natürlich sonstige Besonderheiten eine Rolle spielen.
In den von mir zitierten Entscheidungen ist für Klassenfahrten die Möglichkeit einer Rücklagenbildung für die Einkommensklassen 4 und 5 nach Düsseldorfer Tabelle ausgeschlossen worden (dass diese beiden Urteile zudem trotz Vorhersehbarkeit Sonderbedarf bejaht haben, ist eine andere Frage, die aber wegen der rechtzeitigen Geltendmachung durch die Gegenanwältin in Ihrem Fall nicht erheblich ist). Die Einkommensklasse 6 weist gegenüber Klasse 5 einen um 37 € höheren Zahlbetrag aus. Ein Teil davon ist jedenfalls dem zulässigen aufwändigeren Lebensstil aufgrund des höheren Einkommens des Vaters geschuldet (Stichwort: „angemessener“ Unterhalt), aber ein anderer Teil könnte nach meinem Dafürhalten zur Rücklagenbildung genutzt werden. Man muss aber immer die zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Hinterkopf haben, wonach von Fall zu Fall für den jeweiligen erhöhten Bedarf zu entscheiden ist.
Deshalb muss ich leider auch nach nochmaliger sorgfältiger Recherche bei meiner ursprünglichen Antwort bleiben, dass eine sichere Prognose für den Ausgang eines möglichen Gerichtsverfahrens in dieser Sache seriös nicht möglich ist.
Mit freundlichen Grüßen
Rechtsanwalt Roger Neumann