Testamentarische Verfügung
Fragestellung
Folgende handschriftliche, unterschriebene Verfügung der verstorbenen Schwester liegt vor
1. Ist das ein Testament?
2. Inhalt: Meine Schwester soll alles erben ( Wohnung in der Auguststr.).
3. Frage: Der Immobilienbesitz der Verstorbenen umfasst mehrere Immobilien.
Wie ist die oben stehende Verfügung zu verstehen, bezieht sich "alles" auf den gesamten Immobilienbesitz, oder nur auf die in Klammern gesetzte Wohnung?
4. Nach Auskunft der hinterbliebenen Schwester soll sich laut mündlicher Absprache zw. den beiden Schwestern das "alles" nur auf die in Klammer gesetzte Wohnung beziehen. Ist diese mündli he Absprache rechtlich von Bedeutung?
Hinweis: Die Frage und Antwort wurde anonymisiert und mit Erlaubnis des Kunden veröffentlicht. Ihre eigene Frage wird standardmäßig nicht veröffentlicht.
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Antwort von Rechtsanwalt Roger Neumann
Sehr geehrter Ratsuchender,
nachfolgend beantworte ich Ihre Fragen:
1. Die wiedergegebene Anordnung „Meine Schwester soll alles erben (Wohnung in der Auguststr.)“ ist ein Testament, da es sich um eine einseitige Verfügung von Todes wegen handelt.
2. Ich unterstelle bei meiner Antwort, dass es keine Zweifel an der Testierfähigkeit Ihrer verstorbenen Schwester gab, sie also in ihrer Geistestätigkeit nicht eingeschränkt oder gestört war. Wenn hier Zweifel bestehen, müssten Einzelheiten gegebenenfalls im Rahmen der Nachfragefunktion geklärt werden.
Ich unterstelle außerdem, dass eindeutig feststeht, dass das Testament vor dem Tod Ihrer Schwester von dieser eigenhändig verfasst wurde. Auch dazu können Sie bei Zweifeln gern noch einmal nachfragen, da hier unter Umständen die Soll-Vorschriften nach § 2247 Abs. 2 und 3 BGB eine Rolle spielen könnten. (Das Testament „soll“ mit Ort und Datum versehen sein und mit Vor- und Familiennamen unterschrieben sein.)
Im Übrigen liegt nach Ihrer Schilderung zunächst ein formgültiges Testament nach § 2247 Abs. 1 BGB vor, da es handschriftlich verfasst und eigenhändig unterschrieben ist.
3. Ihre Fragen Nr. 3. und 4. lassen sich nur zusammen beantworten. Bei der Auslegung einer Willenserklärung (und eine solche ist ein Testament) ist gemäß § 133 BGB nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern der wirkliche Wille des Erklärenden zu erforschen. Dabei sind vor allem bei einem Testament nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung auch Umstände heranzuziehen, die außerhalb der Urkunde liegen.
Vorliegend hatte die Erblasserin mehrere Immobilien. Sie bestimmt, dass ihre Schwester „alles“ erben soll und setzt dann in Klammern hinzu „Wohnung in der Auguststr.“ Damit ist das Testament mehrdeutig und auslegungsbedürftig. Aber selbst bei scheinbar eindeutigem Wortlaut geht stets der wahre Wille des Erblassers vor. Jedoch muss zweistufig geprüft werden:
Zuerst ist der wahre Wille des Erblassers zu ermitteln. Dann muss geprüft werden, ob dieser Wille des Erblassers sich zumindest soweit noch in dem Wortlaut des Testaments wiederfindet, dass die Form des § 2247 Abs. 1 BGB gewahrt ist. Denn wenn sich gar kein Anhaltspunkt für den wahren Willen im Wortlaut fände, läge natürlich der Wille nicht in (hand-)schriftlicher Form vor.
Es soll aber nach der Rechtsprechung reichen, wenn der wahre Wille sich zumindest andeutungsweise im Wortlaut wiederfindet.
Hier kommt für die Erforschung des Willens Ihrer verstorbenen Schwester nun die „Absprache“ Ihrer Schwestern ins Spiel. Wenn das so zu verstehen ist, dass Ihre verstorbene Schwester bereits bei Abfassung des Testaments die Absicht hatte, Ihrer Schwester lediglich die Wohnung Auguststr. zu vermachen, dann ist das der ausschlaggebende wahre Wille Ihrer verstorbenen Schwester.
Nach meiner Einschätzung kommt dieser wahre Wille ausreichend, nämlich zumindest andeutungsweise, durch den in Klammern gesetzten Zusatz zum Ausdruck und ist damit auch formgültig erklärt.
4. Die Rechtsfolge wäre dann, dass die gesetzliche Erbfolge eintritt, Ihre Schwester würde aber die Wohnung als Vorausvermächtnis vorab erhalten, so dass das Erbe des oder der verbleibenden Erben um diese Wohnung „verkleinert“ wäre. Man wird außerdem das Wort „alles“ so interpretieren müssen, dass die Schwester auch den Inhalt der Wohnung, also Möbel und so weiter miterbt, es sei denn, die Erblasserin hätte auch dazu vor ihrem Tod etwas anderes geäußert.
5. Gäbe es die Auskunft Ihrer Schwester nicht, wonach sich das Wort „alles“ nur auf die Wohnung beziehen soll, wäre die Auslegung der widersprüchlichen Klausel beinahe unmöglich. Jedenfalls, wenn es auch sonst keine Anhaltspunkte gibt, und die Lösung ausschließlich im Wortlaut gesucht werden müsste, wäre eine seriöse Vorhersage, wie ein Gericht die Formulierung am Ende interpretiert nicht möglich. Aber noch einmal: es wären dann - wenn vorhanden - andere Umstände, wie Äußerungen gegenüber Dritten usw. vorzubringen. Die Heranziehung von Umständen, die außerhalb der Urkunde liegen, ist bei der Auslegung von Testamenten nicht die Ausnahme, sondern das Normale.
6. Das sind meine Ausführungen zu Ihren Fragen. Wenn noch etwas unklar ist oder wenn Sie noch Nachfragen haben, zögern Sie bitte nicht, von der kostenlosen Rückfragemöglichkeit Gebrauch zu machen.
Mit freundlichen Grüßen
Rechtsanwalt Roger Neumann
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