Fragen zum arbeitsgerichtlichen Verfahren
Fragestellung
Sehr geehrte Frau Müller-Mundt,
ich habe einen Arbeitsgerichtsprozess (als Kläger) geführt und mangels juristischer Detailkenntnisse Fehler gemacht, deren Folgen ich nun minimieren möchte.
Irrtümlich bin ich davon ausgegangen, dass nicht der Arbeitgeber sondern das Gericht die Abfindung bestimmt! – Weiterhin ging ich davon aus, dass ich ein Urteil erhalte in dem differenziert auf Argumente von Kläger und Beklagten eingegangen wird! – Stattdessen erhielt ich untenstehenden Text.
Am 27. 06. 2018 wurden mir das Protokoll über die öffentliche Sitzung vom 21. 06. 2018 mit Urteil auf Seite 2 übersandt. Der Text hierzu lautet:
„Urteil:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtstreits zu tragen.
3. Der Streitwert wird auf EUR 5.278,00 festgesetzt.
4. Soweit die Berufung nicht bereits kraft Gesetzes statthaft ist, wird sie nicht zugelassen.“
Ist dies ein übliches Verfahren?
Meine weiteren Fragen:
1. Welche wichtigen Fristen sind zu beachten?
2. Warum habe ich die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, obwohl immer gesagt wird, dass jede Partei die Kosten in der 1. Instanz selbst tragen muss?
3. Durch welche Rechtsnorm wird der Streitwert gegenüber der Güteverhandlung (3 Monatsgehälter) um das ca. 4,3-fache erhöht?
4. Gibt es eine Nichtzulassungsbeschwerde zum Landesarbeitsgericht – ggf. Frist?
5. Kann ich die Klage zurücknehmen (der Beklagte hat zugestimmt) und wenn ja – welche Vor- und Nachteile hätte dies für mich?
6. Streitig war u. a. ob Teilnehmer am „Freiwillig ökologischen Jahr“ (=> FÖJ-Teilnehmer) nach § 23 KSchG zu berücksichtigen sind => zwei „Online-Juristen“ haben dies vor Erhebung meiner Klage bejaht, während das Arbeitsgericht davon ausgeht, dass diese nicht zu berücksichtigen sind! – Was ist Ihre Meinung?
7. Kann ein Arbeitgeber ohne Begründung einem anderen gekündigten Arbeitnehmer mit geringerem Kündigungsschutz (wegen Alter) eine höhere Abfindung zahlen – nach der Devise „der Arbeitgeber bestimmt wieviel er an wen bezahlt“?
Bei den Fragen 6 und 7 geht es mir zunächst mehr um Grundsätze als um eine an meine Verhältnisse angepasste Auskunft – ggf. würde ich nochmals mit Ihnen Kontakt aufnehmen.
Ich darf mich für Ihre Mühe bedanken und verbleibe
mit freundlichem Gruß
H. E.
Hinweis: Die Frage und Antwort wurde anonymisiert und mit Erlaubnis des Kunden veröffentlicht. Ihre eigene Frage wird standardmäßig nicht veröffentlicht.
Antwort von Rechtsanwältin Annegret Müller-Mundt
Sehr geehrte(r) Ratsuchende(r),
aufgrund Ihrer Sachverhaltsangaben beantworte ich Ihre Fragen im Rahmen einer Erstberatung wie folgt:
Der Erlass eines Urteils ist grundsätzlich die übliche Vorgehensweise nach einer Kammerverhandlung, wenn in dieser kein Vergleich zustande kam.
Zu Ihren weiteren Fragen:
1. Welche wichtigen Fristen sind zu beachten?
Nach § 66 Abs. 1 ArbGG ist die Berufung binnen einer Frist von einem Monat nach Zustellung des Urteils (hier: bis zum 27.7.2018) einzulegen und binnen einer Frist von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils (hier: bis zum 27.8.2018) zu begründen. Bitte beachten Sie in diesem Zusammenhang, dass die Berufung nur durch einen Rechtsanwalt oder Gewerkschaftssekretär wirksam eingelegt werden kann.
2. Warum habe ich die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, obwohl immer gesagt wird, dass jede Partei die Kosten in der 1. Instanz selbst tragen muss?
In der 1. Instanz des Arbeitsgerichtsprozesses trägt jede Partei nach § 12a ArbGG ihre außergerichtlichen Kosten selbst – die Gerichtskosten werden jedoch bei Beendigung des Rechtsstreits durch Urteil wie auch im Zivilprozess der unterlegenen Partei auferlegt.
3. Durch welche Rechtsnorm wird der Streitwert gegenüber der Güteverhandlung (3 Monatsgehälter) um das ca. 4,3-fache erhöht?
Um diese Frage zu beantworten, benötige ich bitte zunächst den Wortlaut der gestellten Anträge.
4. Gibt es eine Nichtzulassungsbeschwerde zum Landesarbeitsgericht – ggf. Frist?
Hier wäre zunächst zu prüfen, ob die Berufung nicht bereits gesetzlich nach § 64 Abs. 2 ArbGG zulässig ist:
(2) Die Berufung kann nur eingelegt werden,
a) wenn sie in dem Urteil des Arbeitsgerichts zugelassen worden ist,
b) wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 600 Euro übersteigt,
c) in Rechtsstreitigkeiten über das Bestehen, das Nichtbestehen oder die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses oder
d) wenn es sich um ein Versäumnisurteil handelt, gegen das der Einspruch an sich nicht statthaft ist, wenn die Berufung oder Anschlussberufung darauf gestützt wird, dass der Fall der schuldhaften Versäumung nicht vorgelegen habe.
Um dies im Einzelnen zu prüfen, müssten Sie mir bitte die Klageanträge mitteilen. Sollte die Berufung gesetzlich nicht zugelassen sein, würde sie vorliegend ausscheiden, da das LAG an die diesbezügliche Entscheidung des ArbG gebunden ist (§ 64 IV ArbGG). Eine Nichtzulassungsbeschwerde gibt es insoweit nicht.
5. Kann ich die Klage zurücknehmen (der Beklagte hat zugestimmt) und wenn ja – welche Vor- und Nachteile hätte dies für mich?
Sie können die Klage bis zur Rechtskraft des Urteils zurücknehmen, der Gegner müsste seine Zustimmung dazu gegenüber dem Gericht erklären. Die Rechtskraft tritt grundsätzlich ein, wenn die Frist zur Einlegung des statthaften Rechtsmittels abgelaufen ist. Ist kein Rechtsmittel gegen die Entscheidung statthaft, wird sie mit Verkündung des Urteils rechtskräftig.
Die Gerichtskosten trägt im Fall einer Klagerücknahme grundsätzlich der Kläger. Das Urteil wäre dann hinfällig, allerdings hätte eine erneute Klageerhebung nur Sinn, wenn eventuell einschlägige Fristen (Ausschlussfristen, Klagefristen) noch offen wären und keine Verjährung eingetreten wäre.
6. Streitig war u. a. ob Teilnehmer am „Freiwillig ökologischen Jahr“ (=> FÖJ-Teilnehmer) nach § 23 KSchG zu berücksichtigen sind => zwei „Online-Juristen“ haben dies vor Erhebung meiner Klage bejaht, während das Arbeitsgericht davon ausgeht, dass diese nicht zu berücksichtigen sind! – Was ist Ihre Meinung?
Da die Teilnehmer am Bundesfreiwilligendienst grundsätzlich nicht in einem Arbeitsverhältnis mit ihren Einsatzstellen stehen, gehe ich davon aus, dass sie auch nach § 23 KSchG nicht zu berücksichtigen sind.
7. Kann ein Arbeitgeber ohne Begründung einem anderen gekündigten Arbeitnehmer mit geringerem Kündigungsschutz (wegen Alter) eine höhere Abfindung zahlen – nach der Devise „der Arbeitgeber bestimmt wieviel er an wen bezahlt“?
Ja, das kann er, weil Abfindungen grundsätzlich frei zwischen den jeweiligen Parteien ausgehandelt werden.
Bitte berücksichtigen Sie, dass es sich bei meiner Antwort in diesem Forum lediglich um eine erste Einschätzung handeln kann. Das persönliche Gespräch mit einem Rechtsanwalt kann hierdurch nicht ersetzt werden.
Für Rückfragen oder zur Prüfung der Erfolgsaussichten einer Berufung stehe ich Ihnen natürlich gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Annegret Müller-Mundt
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• 2. • Festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstat-bestände endet, sondern über den 31. 12. 2017 hinaus fortbesteht. => dieser Antrag wurde am Verhandlungstag zurückgenommen
• 3. • Die Beklagte zu verurteilen, den Kläger über den 31. 12. 2017 (Ablauf der Kündi-gungsfrist) hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Lohn- und Steuersachbearbeiter weiter zu be¬schäftigen.
Hilfsantrag 1 => falls der Erste Abschnitt des Kündigungsschutzgesetzes (KSchG) ge-mäß § 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG keine Anwendung findet: Antrag auf Kün¬digungs¬schutz nach Treu und Glauben (§ 242 BGB)
Hilfsantrag 2 => falls der Hilfsan¬trag 1 erfolglos ist:
Antrag auf Zahlung einer Abfindung nach § 1 Allgemeines Gleichbehandlungs¬gesetz (AGG)
Zwischenzeitlich habe ich festgestellt, dass der Streitwert EUR 5.278 genau 13 (Durchschnitts-)Monatseinkommen entspricht.
Zu Frage 3: Auf einen Streitwert von 13 (Brutto-?)Monatsgehältern käme man hier nur, wenn jeder einzelne Antrag gesondert gewertet würde. Das wäre meiner Ansicht nach falsch, zumal ein Antrag zurückgenommen wurde. Grundsätzlich ist gegen eine falsche Streitwertfestsetzung eine Beschwerde nach dem Gerichtskostengesetz zulässig (Frist: 6 Monate nach Rechtskraft der Entscheidung oder Erledigung). Für eine detaillierte Prüfung der Erfolgsaussichten einer solchen Beschwerde würde ich Sie des Zeitaufwands wegen um eine gesonderte, zumindest ähnlich vergütete X-Mail bitten.
Zu Frage 4: Da es sich den Anträgen nach um eine Kündigungsstreitigkeit handelt, ist die Berufung bereits dem Gesetz nach zulässig.
Mit besten Grüßen
Annegret Müller-Mundt
Sie schreiben: "Zu Frage 4: Da es sich den Anträgen nach um eine Kündigungsstreitigkeit handelt, ist die Berufung bereits dem Gesetz nach zulässig."
Meine Frage ist, ob dies (=> bereits nach dem Gesetz zulässig) sich auf § 64 Abs. 3 ArbGG bezieht - was ja in meinem Fall nicht zutreffend wäre.
Ansonsten ist meines Erachtens nachstehende Aussage falsch (siehe https://www.haufe.de/personal/personal-office-premium/berufung-im-arbeitsgerichtsverfahren_idesk_PI10413_HI2718307.html)
"1.2 Zulässigkeit der Berufung
Die Berufung ist nur statthaft, wenn sie vom Arbeitsgericht zugelassen worden ist, § 64 Abs. 2a ArbGG. Liegen die in § 64 Abs. 3 ArbGG genannten Zulassungsgründe vor, muss das Arbeitsgericht die Berufung zulassen. ........"
über eine kurze Information, wie diese Angelegenheit weitergeht, sowie ein Feedback Ihrerseits würde ich mich sehr freuen! Für Rückfragen stehe ich Ihnen natürlich weiterhin gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Annegret Müller-Mundt
heute habe ich aufgrund des Hinweises eines Bekannten folgende mögliche Streitwertberechnung angenommen, welche durch den Hilfsantrag 2 bestimmt wird.
Der an Sie am 04.07.2018 übermittelte Hilfsantrag 2 lautet mit Begründung:
"Hilfsantrag 2 => falls der Hilfsan¬trag 1 erfolglos ist:
Antrag auf Zahlung einer Abfindung nach § 1 Allgemeines Gleichbehandlungs¬gesetz (AGG)
Wie dem Kläger zwischenzeitlich bekannt wurde, ist im Rahmen der Kündigung einer Arbeit-nehmerin (Namen aufgeführt) eine Abfindung gezahlt worden. Diese wurde dem Kläger im Rahmen des Vergleichswiderrufs vom 27. 11. 2017 verweigert. Aus diesem Grund beantragt der Kläger – falls das Gericht zum Ergebnis kommt, dass der Hilfsantrag 1 keinen Erfolg hat – eine Abfin¬dung in Höhe von 10 Durch¬schnitts¬monatsbezügen (10-jähriges Arbeitsverhältnis / Alter 67 Jahre) im Rahmen von § 1 AGG i. V. mit § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG."
Aufgrund dieses Antrags könnte man sich folgende Streitwertberechnung vorstellen: Hilfsantrag 2 Streitwert 10 Monatsgehälter + restliche Klage (wie üblich?) 3 Monatsgehälter ergibt 13 Monatsgehälter = im Urteil angesetzter Streitwert.
Fragen:
1. Angenommen diese Berechnung wäre zutreffend - ist diese durch die Rechtsausübung / Rechtsprechung gedeckt?
2. Falls nein: Wären SIe bereit - wenn unterstellt werden kann, dass keine mündliche Verhandlung notwendig ist - für mich das erforderliche Beschwerdeverfahren nach dem Gerichtskostengesetz durchzuführen?
Ich darf mich für Ihre Mühe bedanken und verbleibe
mit freundlichem Gruß
H. E.
unter Berücksichtigung der Bezifferung des Abfindungsantrags in der Begründung ist die Berechnung des Streitwerts in der Form nachvollziehbar und durch die Rechtsprechung gedeckt. Ein diesbezügliches Beschwerdeverfahren ist daher leider nicht erfolgsversprechend.
Mit freundlichen Grüßen
Annegret Müller-Mundt