Ein Kollege am Standort fällt aus, muss ich seine Termine übernehmen?
Fragestellung
Ich arbeite 30 h/Woche als Coach und betreue in dieser Zeit 18 Teilnehmer. Die Arbeit besteht aus einem Gespräch (1 h) und Vor und Nacharbeit wie Dokumentation, Kontakte zu Dritten, etc.
Nun werde ich morgen - bedingt durch einen EH-Kurs, den ich als Betriebsersthelfer machen muss - einen Tag im Büro ausfallen. Meine Kollegen sind im Rahmen ihrer Arbeitszeiten mit der maximalen TN-Zahl ausgelastet und müssten - wenn es überhaupt logistisch ginge - Überstunden machen.
Nach Vorstellung unseres Standortleiters sind wir dazu verpflichtet, entstandene Fehlzeiten (durch Krankheit, Urlaub oder eben meinen EH-Kurs) am Standort auszugleichen (4 Kollegen: zwei mit 39,5 h, eine mit 24 h und ich mit 30 h).
Eine Auszahlung des Urlaubs ist betrieblich nicht vorgesehen.
Der Text im Vertrag: "Soweit es ausdrücklich angeordnet oder in anderer Weise betrieblich veranlasst ist, ist die Arbeitnehmerin verpflichtet, im Rahmen des gesetzlich zulässigen, Überstunden bzw. Mehrarbeit zu leisten. Die Anordnung von Überstunden muss schriftlich durch die Geschäftsführung erfolgen"
Ich habe einen vergleichbaren Fall im Internet gelesen, bei dem so ein allgemeiner Passus ohne Klärung der genauen möglichen Ausmaße und einer Erklärung, wann so etwas betrieblich veranlasst ist, unzulässig. Mein Standortleiter ist jedoch fest davon überzeugt, dass der Rest der Kollegen dieses machen muss, und zwar ohne erhöhtes Entgelt. Bei einem Bruttogehalt von 2050,- pro Monat brutto halte ich den Lohn auch nicht für so hoch, dass er durch ein "sehr gutes Gehalt" bereits abgedeckt ist.
In der nächsten Woche möchte er uns nun über unsere "Pflichten" aufklären.
Wie sieht es rechtlich aus? Was kann ich ihm sagen? Was muss ich machen? Was nicht?
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Antwort von Rechtsanwältin Uta Ordemann
Sehr geehrte Mandantin,
vielen Dank für Ihre Anfrage, zu der Folgendes anzumerken ist:
1.
Die Auffassung des Arbeitgebers, dass Fehlzeiten, die durch eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit oder durch Urlaub entstanden sind, nachzuholen sind, ist falsch. Vielmehr regelt das Gesetz eindeutig, dass der Arbeitnehmer während der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit einen Entgeltfortzahlungsanspruch hat. Auch während des gesetzlich vorgeschriebenen Urlaubs ist das Arbeitsentgelt fortzuzahlen. Es besteht keine Verpflichtung, diese Zeiten nachzuholen, da dies sonst den Entgeltfortzahlungsanspruch, der gesetzlich vorgeschrieben ist, aushöhlen würde.
2.
Wenn Sie als betriebliche Ersthelferin an einem EH-Kurs teilnehmen müssen, ist diese Teilnahme betrieblich veranlasst. Es handelt sich hierbei nicht um eine private Verpflichtung, sondern um eine betrieblich veranlasste bzw. notwendige Teilnahme, so dass auch für diesen Tag ein Entgeltfortzahlungsanspruch besteht.
Falls durch die Teilnahme an diesem Kurs insgesamt dann Mehrarbeit anfallen sollte, gilt Folgendes:
In Ihrem Arbeitsvertrag ist die grundsätzliche Verpflichtung zur Ableistung von Mehrarbeit bzw. Überstunden geregelt. Das ist auch rechtlich in Ordnung. Die Verpflichtung zur Ableistung von Überstunden sagt aber noch nichts darüber aus, ob und wie diese zu vergüten bzw. auszugleichen sind. Hierzu enthält der Arbeitsvertrag keine Regelung. Daher greift § 612 BGB. Nach dieser Vorschrift gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist. Da sich Ihr Gehalt hier zumindest nicht in einem höheren Bereich bewegt, ist es durchaus berechtigt, im Falle der Ableistung von Überstunden oder Mehrarbeit hier eine gesonderte Vergütung gemäß § 612 Abs. 1 BGB zu verlangen. Der Arbeitgeber kann hier nicht erwarten, dass Sie Überstunden und Mehrarbeit in dem gesetzlich zulässigen Rahmen unentgeltlich leisten. Der gesetzliche Rahmen lässt eine Höchstarbeitszeit von bis zu 60 Stunden pro Woche zu, wobei bezogen auf einen Halbjahreszeitraum ein Durchschnitt von 48 Stunden pro Woche nicht überschritten werden darf. Sofern tatsächlich in diesem Umfang Mehrarbeit anfallen würde, würden Sie mit Ihrem Gehalt dann ungefähr auf den Mindestlohn kommen bzw. nur minimal darüber liegen. Daher können Sie bei der in Ihrem Arbeitsvertrag vereinbarten Gehaltshöhe eine gesonderte Vergütung gemäß § 612 Abs. 1 BGB erwarten und verlangen oder zumindest einen entsprechenden Freizeitausgleich für die geleistete Mehrarbeit.
In vielen Arbeitsverträgen findet sich auch eine dahingehende Regelung, dass Mehrarbeit und Überstunden in einem Umfang von 10 % bezogen auf die reguläre wöchentliche Arbeitszeit mit dem vereinbarten Gehalt abgegolten sind. Darüber hinausgehende Stunden sind dann gesondert zu vergüten oder in Freizeit auszugleichen. Eine solche Regelung wird von der höchstrichterlichen Rechtsprechung auch grundsätzlich als zulässig und angemessen angesehen, wobei auch jeweils die Umstände des Einzelfalls wie u.a. die Höhe des Gehalts und die ausgeübte Position zu berücksichtigen sind.
Da es an einer Regelung in Ihrem Arbeitsvertrag zu einer Vergütung von Mehrarbeit und Überstunden fehlt, können Sie hier einen Vertügungsanspruch gemäß § 612 Abs. 1 BGB geltend machen oder zumindest auf einem entsprechenden Freizeitausgleich bestehen.
Alternativ können Sie Ihrem Arbeitgeber - wenn Sie dies möchten - als Kompromiss auch anbieten, dass der Arbeitsvertrag um eine dahingehende Regelung ergänzt wird, dass Überstunden und Mehrarbeit in einem Umfang von 3 Std in der Woche bzw 12 Stunden im Monat mit dem vereinbarten Gehalt abgegolten sind und dass darüber hinausgehende Stunden nach Wahl des Arbeitnehmers in Freizeit auszugleichen oder gesondert zu vergüten sind.
Falls Sie noch Fragen hierzu haben, melden Sie sich jederzeit gern.
Mit freundlichen Grüßen
Uta Ordemann
Rechtsanwältin
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