Auswirkung meines altenProkuristenvertrags auf jetzige Selbständigkeit
Fragestellung
Hallo Herr Meyer,
seit dem 01.03.2017 bin ich mit meiner eigenen GmbH selbständig. Vorher war ich als Prokurist mit beigefügtem Vertrag selbständig.
Seit dem 01.03 habe ich auch mit ein paar ehemaligen Kunden des alten Arbeitgebers telefoniert und erzählt, dass es mich gibt und wir auch gerne zusammenarbeiten können. Auf ein paar Kunden bin ich aktiv zugegangen bei anderen haben diese den ersten Schritt gemacht.
Zudem haben mein Partner und ich auch mit ehemaligen Kollegen gesprochen. Wir haben diese auch gefragt, ob sie nicht Lust hätten bei uns einzusteigen.
Davon hat der alte Arbeitgeber nun Wind bekommen und droht nun, dass wir mit Konsequenzen rechnen müssten sollten wir Mitarbeiter oder Kunden tatsächlich abwerben. Welche Konsequenzen das sein sollen wurde mir bisher nicht gesagt.
Nun meine Fragen:
1) Kunden
Wo muss ich aufpassen, wenn ich ehemalige Kunden anspreche? Was darf ich? was darf ich nicht?
Ist es schon ein Geschäftsgeheimnis, dass ich überhaupt von den Kunden weiss und welche Systeme sie einsetzen?
2) Mitarbeiter
Darf ich denn nicht mit ehemaligen Mitarbeitern darüber sprechen, ob diese zu mir wechseln wollen?
Die alte Firma hat 200 Mitarbeiter. Gäbe es eine rechtliche Handhabe, wenn die Mitarbeiter zu mir kommen und z.B. in 2 Jahren 25 Personen davon bei mir sind? Gäbe es dabei eine Handhabe? Was ist hier erlaubt und was nicht?
Grundsätzlich geht es mir wirklich darum zu wissen, wo ich aufpassen muss und wo das Recht auf meiner Seite steht.
Vielen Dank für Ihre Antwort.
Grüße
N. R.
Hinweis: Die Frage und Antwort wurde anonymisiert und mit Erlaubnis des Kunden veröffentlicht. Ihre eigene Frage wird standardmäßig nicht veröffentlicht.
Antwort von Rechtsanwalt Ruben Meyer
Sehr geehrter Herr R.,
vielen Dank für Ihren Auftrag über yourxpert.
Sie haben sich durch eine Tätigkeit in einer eigenen GmbH selbständig gemacht. Aufgrund von Abwerbungsaktivitäten befürchten Sie nun Konsequenzen Ihres ehemaligen Arbeitgebers.
Zunächst ist festzustellen, dass es völlig unproblematisch ist, wenn ehemalige Kollegen oder Kunden auf Sie zugehen und keine aktive Abwerbungshandlung durch Sie oder einen Mitarbeiter/Kollegen Ihres Unternehmens vorliegt. Sie können ohne weiteres mit diesen Kollegen oder Kunden Vertragsbeziehungen eingehen ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.
Schwieriger ist die Einschätzung im Hinblick auf aktive Abwerbungsmaßnahmen Ihrerseits.
1) Mitarbeiter
Dürfen Sie mit ehemaligen Mitarbeitern darüber sprechen, ob diese zu Ihnen wechseln wollen?
Ja Sie dürfen.
Die Abwerbung von Arbeitnehmern ist grundsätzlich gesetzlich zulässig, kann aber im Einzelfall gegen §§ 3, 4 UWG verstoßen. Der mit dem abgeworbenen Arbeitnehmer geschlossene Vertrag ist nur bei zusätzlichen sittenwidrigen Umständen – etwa bei Verleitung zum Vertragsbruch oder bei einem den Umständen nach anstößigen gezielten Eingriff in ein anderes Unternehmen – nichtig.
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Abwerben fremder Mitarbeiter als Teil des freien Wettbewerbs grundsätzlich erlaubt. Dies gilt aber dann nicht, wenn wettbewerbsrechtlich unlautere Begleitumstände hinzukommen, insbesondere unlautere Mittel eingesetzt oder unlautere Zwecke verfolgt werden (BGH 11. Januar 2007 – I ZR 96/04 – Rn. 14, BGHZ 171, 73; 9. Februar 2006 – I ZR 73/02 – Rn. 18, NZA 2006, 500; 4. März 2004 – I ZR 221/01 – Rn. 16, BGHZ 158, 174).
Ein solche Unlauterkeit liegt gemäß § 4 Nr. 10 UWG vor, wenn das Abwerben mit dem Ziel der Beschränkung des Wettbewerbs, nämlich der Behinderung und Schädigung des bisherigen Arbeitgebers erfolgt. Eine wettbewerbswidrige Behinderung ist noch nicht anzunehmen, wenn die Abwerbung lediglich planmäßig erfolgt. Es müssen noch weitere Bedingungen erfüllt sein, um aus den Gesamtumständen auf die Unlauterkeit des Abwerbefalles zu schließen.
Die Rechtsprechung geht hier folgenden Fragen nach: Wie viele Mitarbeiter wurden abgeworben (ein ganzes Team?), wie wichtig waren sie für das Unternehmen, welche Folgen hat die Abwerbung für das Unternehmen, kam es dem Wettbewerber darauf an, seinen Konkurrenten zu behindern und zu schädigen?
Liegt in der Abwerbung z.B. auch der Versuch, gezielt an Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse des Mitbewerbers zu kommen und den Mitbewerber auszubeuten, dann ist eine solche Abwerbung auch gemäß § 4 Nr. 10 UWG unlauter.
Die Abwerbung ist ebenfalls unlauter, wenn der Abwerbende den ehemaligen Mitarbeiter zum Vertragsbruch verleitet. Mit Vertrag ist hier der Arbeitsvertrag gemeint. Hier liegt das Verwerfliche darin, dem Mitbewerber unter Bruch bestehender Vereinbarungen, einen Mitarbeiter zu entziehen.
Solche Vereinbarungen können z.B. lange Kündigungsfristen oder nachvertragliche Wettbewerbsverbote sein. Als Verleitung zum Vertragsbruch wird aber auch angesehen, wenn der Mitarbeiter angehalten wird, seine Arbeit bei seinem Arbeitgeber überhaupt nicht aufzunehmen oder sich so zu verhalten, dass er fristlos gekündigt wird.
Einige Leitsätze dazu aus der Rechtsprechung:
„Auch die gezielt und planmäßig betriebene Abwerbung des bei einem Konkurrenten vertraglich gebundenen Mitarbeiters erfüllt nicht ohne Weiteres des Tatbestand der unzulässigen Behinderung i.S.d. § 4 Nr. 10 UWG. Das Verleiten zum Vertragsbruch kann nur dann als unzulässige Behinderung eines Konkurrenten gewertet werden, wenn er eine spezifische und wettbewerbswidrige Eigenart aufweist, die im Wertungszusammenhang der Regelbeispiele unlauteren Wettbewerbs der §§ 4 und 5 UWG einen Gleichklang mit den gesetzlichen Tatbeständen aufweist.“
„Gegenüber einem Konkurrenten wird die Grenze zu einem nicht mehr lauteren Verhalten nach den grundlegenden Wertungen der §§ 4 und 5 UWG erst überschritten, wenn nicht mehr der eigene Wettbewerbsvorteil, sondern die Schädigung des Konkurrenten im Vordergrund steht.“
„Das Abwerben von Mitarbeitern ist dann unlauter, wenn besondere Umstände, etwa die Verfolgung verwerflicher Zwecke oder die Anwendung verwerflicher Mittel und Methoden, hinzutreten (BGH 11. Januar 2007 – I ZR 96/04 – Rn. 14, aaO).“
„Es liegt nahe, dass die Beklagte die wettbewerbsrechtlich unbedenkliche Schwelle für Kontaktaufnahmen am Arbeitsplatz überschritten hat, indem sie mithilfe der noch im Arbeitsverhältnis zur Klägerin stehenden Streitverkündeten zu 2. und zu 3. und unter Nutzung sächlicher und personeller Betriebsmittel der Klägerin Führungspersonal abgeworben hat.“
Ist die Abwerbung unlauter, hat der ehemalige Arbeitgeber einen Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch gegen seinen Wettbewerber gemäß § 8 Abs. 1 UWG und bei Verschulden des Konkurrenten sogar einen Schadensersatzanspruch gemäß § 9 UWG.
Man muss aber feststellen, dass in der Praxis ist eine gezielte Behinderungs- und Schädigungsabsicht des Abwerbenden selten zu beweisen ist.
Fazit: Je nach Herangehensweise und Umfang besteht ein Risiko, dass aktive Abwerbung von Mitarbeitern als unlauter eingeschätzt werden kann. Dieses Risiko ist umso größer, wenn Führungskräfte, individuelle besonders wichtige Fachkräfte oder ganze Teams aktiv abgeworben werden bzw. wenn dabei bewusst zum Vertragsbruch verleitet wird.
Aus Ihrem Arbeitsvertrag heraus besteht kein Verbot für eine Abwerbung von Mitarbeitern oder Kunden.
Relevante Regelungen finden sich in den §§ 9 und 10.
§ 9 Abs. 1
Verhältnisse und Angelegenheiten der Gesellschaft namentlich Geschäfts-, Betriebs- und Forschungsergebnisse, Herstellungsverfahren usw. auch nach Beendigung des Dienstverhältnisses Verschwiegenheit gegenüber jedem zu wahren, der nicht durch Stellung oder Tätigkeit bei der Gesellschaft ausdrücklich zur Kenntnisnahme befugt ist… Der Prokurist verpflichtet sich ferner, Unbefugten auch auf andere Weise keinen Einblick in die Verhältnisse und Angelegenheiten der Gesellschaft zu ermöglichen.
§ 10 Abs. 1
Der Prokurist ist verpflichtet, absolute Verschwiegenheit über alle ihm zur Kenntnis gelangenden Tatsachen und Vorgänge, auch nach seinem Ausscheiden, zu wahren.
Abs.2
Die Verschwiegenheitspflicht besteht auch hinsichtlich der Regelungen dieses Vertrages sowie solcher Angelegenheiten, die geeignet sind, dem Arbeitgeber Schaden zuzufügen oder sein Ansehen zu verletzen.
Abs. 7
Schäden, die aus einer Verletzung dieser Verpflichtung zur Verschwiegenheit und/oder Geheimhaltung entstehen, gehen zu Lasten des Prokuristen.
Ein vertraglicher Unterlassungsanspruch zu Abwerbung besteht aus den §§ 9 und 10 des Vertrages nicht. Die Vorschrift verpflichtet die Parteien lediglich, den Vertrag und alle Informationen, die nur eine Partei über das Unternehmen des jeweils anderen erlangt, vertraulich zu behandeln. Dass Verbot bezieht sich mit anderen Worten darauf, Dritten keine vertraulichen Informationen über den Vertragspartner zukommen zu lassen. Es enthält aber keine Regelung zu der Frage, dass und vor allem für wie lange Zeit nach Vertragsbeendigung es der Beklagten untersagt sein soll, Kontakt zu anderen Kunden oder Kollegen.
Es bestehen für Sie auch aus einem Wettbewerbsverbot für die Zeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses keine gesetzl. Beschränkungen der Berufstätigkeit. Solche Beschränkungen könnten nach §§ 74 ff. durch gesonderte vertragl. Vereinbarung („Wettbewerbsverbot“, „Wettbewerbsabrede“, „Wettbewerbsklausel“, „Konkurrenzklausel“ etc.) geschaffen werden, wobei die Zusage einer Karenzentschädigung von mindestens 50 % der letzten Bezüge Wirksamkeitsvoraussetzung einer solchen Vereinbarung ist (Abs. 2). Eine solche Vereinbarung wurde nicht getroffen.
Nach ihrem Wortlaut gelten §§ 74 ff. auch dann, wenn dem ArbN nur marginale Beschränkungen auferlegt werden, die ihn in seinem beruflichen Fortkommen praktisch nicht behindern. Bedeutung hat dies insb. für Verbote, die dem ArbN nur die Tätigkeit in einem extrem schmalen Segment verbieten, aber auch bei reinen Abwerbeverboten (Abwerbung ehemaliger Kollegen und/oder Abwerbung von Kunden).
Eine solche Beschränkung wurde allerdings nicht vereinbart und kann damit auch nicht eingreifen.
2) Kunden
Wo müssen Sie aufpassen, wenn Sie ehemalige Kunden ansprechen?
Was dürfen Sie? Was dürfen Sie nicht?
Handelt es sich um ein Geschäftsgeheimnis, dass Sie überhaupt von den Kunden wissen welche Systeme sie einsetzen?
Zunächst ist es grundsätzlich gesetzlich zulässig, fremde Kunden abzuwerben. Dieses stellt – wie auch beim Abwerben von Mitarbeitern – nur in Ausnahmefällen eine wettbewerbswidrige Handlung dar.
Das Abwerben von Kunden ist als Fall des Behinderungswettbewerbs nur bei Hinzutreten besonderer, die Unlauterkeit begründender Umstände wettbewerbswidrig.
Diese liegen insbesondere dann vor, wenn der Werbende in einem Vertragsverhältnis zu dem von der Abwerbung Betroffenen steht, das ihn zu einer gewissen Loyalität verpflichtet, etwa einem auslaufenden Arbeitsverhältnis, oder wenn er das ihm anvertraute wertvolle Adressmaterial zweckwidrig und zielgerichtet für die Abwerbung einsetzt (BGH, GRUR 2004, 704, 705 [BGH 22.04.2004 – I ZR 303/01] – Verabschiedungsschreiben). Die Verletzung eines vertraglichen Wettbewerbsverbots führt nicht ohne weiteres zur Unlauterkeit der Abwerbung.
Ein Beschäftigter, der vor dem Ausscheiden aus einem Arbeitsverhältnis unter Verwendung des Adressenmaterials seines Arbeitgebers ein Verabschiedungsschreiben an die bislang von ihm betreuten und ihm dabei durch ein Vertrauensverhältnis verbundenen Kunden richtet, handelt wettbewerbswidrig, wenn er direkt oder indirekt (hier u.a. durch die Angabe seiner privaten Adresse und Telefonnummer) auf seine zukünftige Tätigkeit als Wettbewerber oder für einen Wettbewerber hinweist. (vgl. BGH Urt. v. 22.4.2004 – I ZR 303/01)
Eine wirksame Mandantenschutzklausel wurde mit Ihnen nicht vereinbart. Eine solche müsste wie folgt aussehen:
„X verpflichtet sich, nach der Beendigung des Dienstverhältnisses für die Dauer von […] ohne die ausdrückliche schriftliche Zustimmung der Gesellschaft nicht in geschäftliche Beziehungen zu solchen Mandanten/Kunden zu treten, die während der letzten drei Jahre vor der Beendigung des Dienstverhältnisses Geschäftskontakte zu der Gesellschaft unterhalten haben.“
Wenn Sie also nicht Ihnen besonders anvertrautes Adressmaterial gezielt und strukturiert zur Abwerbung einsetzen, sondern lediglich einzelne persönlich gewachsene Kundenbeziehungen nutzen und Kunden ansprechen, dürfte auch hier keine Wettbewerbswidrigkeit Vorliegen.
Sollte unlauterer Wettbewerb festgestellt werden, können auch hier Auskunfts- und Unterlassungsansprüche bzw. Schadensersatzansprüche drohen.
Es handelt sich um ein Geschäftsgeheimnis, dass Sie von den Kunden wissen, welche Systeme sie einsetzen, solange diese Information nicht anderweitig legal zu erlangen ist. Unlauterer Wettbewerb würde in diesem Fall dann anzunehmen sein, wenn Sie dieses Wissen bewusst nur Schädigung der Konkurrenz nutzen.
Sollten Sie Fragen zu meinen Erläuterungen haben, können Sie gern solange weitere kostenfreie Rückfragen per E-Mail stellen, bis Sie Klarheit haben.
Freundliche Grüße
Ruben Meyer
Rechtsanwalt und Personalfachkaufmann (IHK)
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