anstehende Kündigungswelle - Sozialauswahl
Fragestellung
Ausgangslage - zu meiner Person:
46 Jahre,
Familienvater,
Ehefrau erhält aktuell Arbeitslosengeld (600 Euro),
ein Sohn 4 Jahre (behindert),
Ausbildung: Diplomkaufmann mit Studien-Schwerpunkte Marktforschung und Marketing
Ich arbeite seit fast 19 Jahren als Angestellter für meinen derzeitigen Arbeitgeber (AG) im Team "Marktforschung". Das kleine Team besteht aus meiner Kollegin (Teilzeit Marktforscherin) und mir (Vollzeit, Senior Marktforscher). Es gibt keinen Teamleiter. Wir sind Bestandteil der Abteilung Business Intelligence, die von einem Abteilungsleiter geführt wird. Disziplinarisch sind meine Kollegin und ich gleichgestellt. Die Abteilung Business Intelligence besteht aus zwei Teams, den Analyse Kollegen (circa 10 Kollegen, darunter auch viele neu eingestellte Kollegen) und dem Marktforschungs-Team. Die Fachausrichtungen der beiden Teams sind unterschiedlich. Ich könnte die Aufgaben der Analyse-Kollegen nicht ohne umfangreiche Einarbeitung (circa 3-4 Monate) ausführen.
Das Unternehmen hat knapp 1.000 Mitarbeiter und einen Betriebsrat (BR). Die Geschäftsleitung hat angekündigt, dass es bis Ende April schwerpunktmäßig in vier Abteilungen bzw. Fachbereiche betriebsbedingte Kündigungen geben wird. Der BR ist eingeschaltet und die Verhandlungen haben gestartet. Es werden voraussichtlich 70 Personen gekündigt.
Die Business Intelligence Abteilung gehört zu einer der vier betroffenen Abteilungen bzw. Fachbereichen (ein Fachbereich umfasst zum Teil mehrere Abteilungen). Neben den vier betroffenen Abteilungen bzw. Fachbereichen wird es vereinzelt auch Kündigungen in anderen Fachbereichen geben.
Folgende Information habe ich auf https://www.fachanwalt.de/magazin/arbeitsrecht/sozialauswahl-kuendigung gelesen:
"Vergleichbarkeit - Die Sozialauswahl erfolgt in drei Schritten:
1.) Horizontale Vergleichbarkeit der Mitarbeiter feststellen
2.) Rangordnung der sozialen Schutzbedürftigkeit festlegen
3.) Überprüfen, ob einzelne Arbeitnehmer von der Sozialauswahl auszunehmen sind
Zunächst müssen also die Arbeitnehmer festgelegt werden, die auf derselben betrieblichen Ebene tätig sind und gemäß Arbeitsvertrag bzw. Arbeitsbeschreibung ähnliche Aufgabenbereiche haben. Sie sind untereinander austauschbar bzw. horizontal vergleichbar. So könnte danach gefragt werden, welche Arbeitnehmer sich im Krankheitsfall oder während eines Urlaubs gegenseitig vertreten können, um herauszufinden, wer horizontal miteinander vergleichbar ist. [...]
Sind jeweils die Angehörigen einer horizontal vergleichbaren Arbeitnehmergruppe zusammengestellt, werden diese dann innerhalb der Gruppe in eine Rangfolge anhand ihrer sozialen Schutzbedürftigkeit gebracht. Die Arbeitnehmer oder der Arbeitnehmer (abhängig davon, wie viele Entlassungen geplant sind) mit der geringsten Punktzahl müssen dann gehen."
ENDE Zitat.
ANNAHME: Ich befürchte, dass mein AG das komplette Marktforschungsteam, d.h. meine Kollegin und mich entlassen möchte.
Meine Fragen:
A) Wer fällt in unsere Vergleichsgruppe? Eventuell nur ich und meine Kollegin, falls wir die einzigsten Mitarbeiter im Haus sind, die Marktforschung betreiben? Falls die Vergleichsgruppe aus meiner Kollegin und mir bestehen würde, welche Konsequenzen hätte das für uns? - Wie werden die unterschiedlichen fachlichen Gruppen, aus denen gekündigt werden soll, in diesem Zusammenhang behandelt? Extrembeispiel: Angenommen meine Kollegin und ich sind nach dem Bewertungssystem die Schutzbedürftigsten im ganzen Unternehmen, hilft uns das überhaupt, wenn wir die einzigen Marktforschungs-Experten sind und die Geschäftsleitung beschließen würde, dieses Team komplett aufzulösen?
B) Welche Bedeutung hat es, wenn im Unternehmen Personen sind, die zwar ausgebildete Marktforscher sind, aber überwiegend andere, nicht-marktforscherische Aufgaben (größer 80%) ausführen?
C) Welche Bedeutung hat es, dass ich fachlich auch als Marketing-Experte in der Marketing-Abteilung arbeiten könnte? Dort sind aktuell aber keine Stellen frei.
D) Welche Bedeutung hat es, dass ich nach 4-monatiger Einarbeitung auch als Analyse-Experte im Schwester-Team innerhalb unserer Abteilung arbeiten könnte? Auch hier sind keine Stellen frei. Die jungen Kollegen ohne Kinder mit kurzer Betriebszugehörigkeit werden eventuell auch gekündigt.
E) Meine Ehefrau musste im Oktober mit ihrem Arbeitgeber (andere Firma) einen Aufhebungsvertrag schließen, weil die bisherigen Arbeitszeiten (Schichtbetrieb) nicht mehr mit der Betreuung unseren behinderten Sohnes und den neuen Kindergartenzeiten vereinbar waren. Gelte ich als unterhaltspflichtig, wenn meine Frau Arbeitslosengeld (600 Euro) bezieht? Falls ja, woher weiß eigentlich mein Arbeitgeber für den Sozialplan, dass ich für meine Frau unterhaltspflichtig bin?
Hinweis: Die Frage und Antwort wurde anonymisiert und mit Erlaubnis des Kunden veröffentlicht. Ihre eigene Frage wird standardmäßig nicht veröffentlicht.
Antwort von Rechtsanwalt Ralf Hauser, LL.M.
Sehr geehrter Ratsuchender,
1.
Wie sich bereits aus Ihrem Zitat ergibt, findet eine Vergleichsprüfung auf horizontaler Ebene statt. Die Vergleichbarkeit der in der Sozialauswahl einzubeziehenden Arbeitnehmer richtet sich nach der ausgeübten Tätigkeit und auch nach der beruflichen Qualifikation.
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vielen Dank für Ihre Antworten. Punkt 1-4: Heißt das, dass A) alle Kollegen, die zumindest theoretisch meine Arbeit ausführen könnten, in meine Vergleichsgruppe fallen und B) zusätzlich auch diejenigen, deren Arbeit ich zumindest nach Einarbeitung ausführen könnte?
Heißt das im Umkehrschluss, dass für jeden einzelnen Mitarbeiter eine eigene Vergleichsgruppe gebildet werden müsste? Nach welchen Kriterien wird dann gekündigt, wenn jeder Mitarbeiter eine individuelle Vergleichsgruppe hat? Ich habe gedacht, dass "feste" Vergleichsgruppen gebildet werden, z.B. die Marktforscher, die Analysten, die Marketingexperten.
Zu Punkt 5: Sie schreiben "In der Personalabteilung ist sicherlich vermerkt, dass Sie verheiratet sind. Vermutlich ergibt sich dies auch aus der Steuerklasse. Aufgrund dessen, dass eine gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber Ehepartnern besteht, wird dies bei der Sozialauswahl berücksichtigt." Spielt es keine Rolle, ob meine Frau arbeitet, Arbeitslosengeld bezieht oder Hausfrau ist?
Herzliche Grüße
M. R.
es fallen alle Arbeitnehmer in Ihre Gruppe, dir mit Ihnen und umgekehrt austauschbar sind. Sie müssen neben der ausgeübten Tätigkeit auch die Qualifikation berücksichtigen. Um es deutlicher zu machen, wird als Maßstab für die Vergleichbarkeit geprüft, ob der Arbeitgeber Ihnen im Wege des Direktionsrechtes die Arbeit zuweisen könnte und dem betroffenen Arbeitnehmer Ihre Tätigkeit.
Es wird nicht auf die Abteilungen „die Marktforscher“ , „die Marketingexperten“ usw. abgestellt. Wenn Sie - wie in Ihrem Fall- auch die Qualifikatin für die Marketinggruppe haben, sind diese Mitarbeiter vergleichbar. Der Arbeitgeber könnte Sie per Direktionsrecht an die Stelle Marketingexperten versetzen. Soweit die Marketingmitarbeiter auch Ihre Tätigkeit (gegebenfalls nach Einarbeitung) verrichten können, gehören sie einer Gruppe an. Deswegen wird an dieser Stelle auch von Austauschbarkeit gesprochen.
Innerhalb der auf diese Weise ermittelten Gruppe werden dann die Sozialdaten gewertet und eventuell Arbeitnehmer mit besonderen Qualifikationen/Kenntnissen aus der Gruppe herausgebommen, wenn Sie für den Arbeitgeber unverzichtbar sind.
Es spielt keine große Rolle, ob Ihre Frau arbeitet. Nur wenn Ihre Frau den Lebensunterhalt für die Familie entscheidend bestreitet, wäre Sie nicht zu berücksichtigen.
Beim Bezug von Arbeitslosengeld ist Sie zu berücksichtigen. Häufig fragen Arbeitgeber vor der Kündigung nochmal Sozialdaten (Schwerbehinderung und auch Unterhaltspflichten) ab. Dabei müssen Sie nicht die Höhe des Einkommens Ihrer Frau mitteilen, sondern sich nur dahingehend erklären, dass das Einkommen Ihrer Frau nicht zum Unterhalt der Familie ausreicht. Dann wird Ihre Frau bei Ihren Unterhaltspflichten berücksichtigt.
Sie sollten auf jeden Fall, wenn Sie von der Kündigungswelle betroffen sind, die ordnungsgemäße Sozialauswahl von einem Rechtsanwalt überprüfen lassen. Hier geschehen sehr oft Fehler, insbesondere bei der Vergleichbarkeit.
Beste Grüße
Ralf Hauser, LL.M.
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht